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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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umzubringen. Meinen Mann hat man bereits umgebracht.
Überhaupt nichts ist in Ordnung.«
    Das waren nicht die Worte, die sie hatte sagen wollen. Aber sie
wußte nicht einmal, was sie hatte sagen wollen. Dollings warf
wieder einen Blick in den Spiegel.
    »Folgt uns jemand?« fragte Judy. Ihr abweisender,
krampfhafter Tonfall mißfiel ihr zutiefst.
    »Polizeieskorte, Madam.«
    »Das ist mir klar. Sonst noch jemand?«
    Er sah sie kurz von der Seite an. »Keine Sorge, Mrs.
Kozinski. Die werden’s nicht noch mal versuchen, mit einem
FBI-Agenten und der Kavallerie da hinten, die praktisch auf Ihnen
draufkleben.« Rückblickend schien ihm aufzufallen, wie das
geklungen hatte, und er wurde tatsächlich rot.
    Augenblicklich fühlte Judy sich besser. Sie spürte,
daß ihr Sinn für Humor zurückkehrte, wie eine Woge,
die sich am Strand gebrochen hatte. »Wie alt sind Sie, Agent
Dollings?« fragte sie.
    Er zog die Brauen zusammen. »Ich glaube nicht, daß das
von Bedeutung ist.«
    »Nein. Entschuldigen Sie.« Dreiundzwanzig, schätzte
sie. Maximal vierundzwanzig.
    Dollings’ Brauen blieben zusammengezogen, als er wiederum in
den Rückspiegel sah. Er bog von der Schnellstraße ab und
fuhr Richtung Zentrum. An einer roten Ampel ließ er die linke
Hand leicht auf dem Lenkrad liegen, während seine Rechte nach
dem Telefon griff und einen Code eintippte.
    »Dollings… etwa drei Blocks… ja… Doktor –
wie?«
    Im Wagen war es zu heiß. Und das Seitenfenster war
schmutzig. Würde man nicht annehmen, daß eine
quasimilitärische Einrichtung ihre Fahrzeuge
regelmäßig säuberte? Spucke und Poliertuch! Judy
kurbelte das Fenster hinunter und betrachtete die Menschen auf den
dämmrigen Gehsteigen. Regierungsbeamte eilten zur U-Bahn,
Touristen schleppten sich zurück in ihre Hotels, vollbepackt mit
Einkäufen. Sie sahen alle ein wenig substanzlos, unwirklich aus.
Es waren Leute in einer anderen, sichereren Welt.
    »Wo?« erkundigte sich Dollings mit verändertem
Tonfall. »Irgendwelche Zeugen?«
    Langsam wandte Judy das Gesicht vom Fenster weg.
    »Nein«, sagte Dollings. »Okay.« Er steckte den
Hörer zurück. Die Ampel war immer noch rot. Sein Kinn
wirkte starr wie Glas und zeigte einen leicht feuchten Schimmer.
    »Wer wurde noch umgebracht?« fragte Judy.
    Die Muskeln in seinem Gesicht regten sich nicht. Das müssen
sie ihnen dort beibringen, dachte Judy abwesend; das Erröten
vorhin, das mußte wohl eine peinliche Abweichung von der Norm
gewesen sein. Aber da war außerdem dieser leichte Hauch von
Schweiß. Er starrte geradeaus durch die Windschutzscheibe. Die
Ampel wurde gelb.
    »Ich will wissen, wer noch gestorben ist!« schrie Judy
und überraschte sich damit selbst. Mit einemmal war sie zu zwei
Personen geworden – zu einer, die hysterisch schrie, und zu der
anderen, die sich selbst aus sicherer Entfernung dabei zusah. Die
erste Judy wurde plötzlich von schwarzen Wogen überrollt;
sie würde gleich in Ohnmacht fallen. Beug den Kopf auf die
Knie runter, befahl die zweite Judy, und die Stimme war die ihrer
Mutter. Sie gehorchte, die rechte Hand unter sich geklemmt, die Linke
um Dollings’ Arm geklammert, als könnte sie auf diese Art
das aus ihm herausquetschen, was sie wissen wollte: Wer ist noch
gestorben?
    »Madam…«, sagte Dollings und riß den Arm aus
ihrer Umklammerung. Judy kämpfte gegen eine aufsteigende
Übelkeit an. Nein, um Gottes willen, nur nicht hier kotzen, in
einem Regierungswagen! Das Schwindelgefühl verging. Sie richtete
sich ruckartig auf und warf mit geschlossenen Augen den Kopf
zurück gegen die Stütze. Ihre Stirn fühlte sich
eiskalt an.
    Hupen ertönten. Eine Sirene heulte auf. Judy öffnete die
Augen. Die Ampel war grün. Dollings saß in dem
stillstehenden Fahrzeug, halb zu ihr gedreht, halb an die
Fahrertür gelehnt und sah sie mit ernstem Gesicht an. In seiner
rechten Schläfe war ein blutiges Loch.
    Die Beifahrertür wurde aufgerissen, und Judy schrie gellend
auf, doch der Mann gehörte zur Besatzung des Streifenwagens, der
sie begleitete. Er drückte Judy nach vorn auf den Boden des
Wagens und sah Dollings an. »Ach, du beschissener Himmel!«
rief er, und in einer Ecke ihres Hirns registrierte Judy, daß
sie diesen speziellen Ausruf noch nie zuvor gehört hatte. Der
Mann rannte zurück zum Polizeiwagen, und eine Sekunde
später schoß dieser auf dem rechten Fahrstreifen an Judy
vorbei.
    Genau dort, wo der Schütze sich befunden haben mußte
– in einem anderen Wagen neben ihr. Oder auf dem

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