Verico Target
Hochzeitsgeschenk von Ben. Er hat
es mir gerade gegeben.«
»Was ist eine Doppelhelix?«
In dem schwachen Licht, das vom Flur hereindrang, glänzte der
Anhänger matt. Die Decke auf dem breiten französischen Bett
war nicht zurückgeschlagen. Judy hatte die Nacht durchgewacht,
war nicht einmal fähig gewesen, sich hinzulegen. Auf der antiken
Kommode mit den fein gearbeiteten Beinen lagen Bens Haarbürste,
sein Deodorant und sein Toilettewasser. Er hatte etwas übrig
gehabt für schön gearbeitete Möbel. Er fand, es sah
nach Wohlstand aus. Judy hatte sorgfältig planen müssen, um
mit den Kreditkartenrechnungen zu Rande zu kommen.
»Was ist eine Doppelhelix?«
»Mutter! Jeder weiß doch, was eine Doppelhelix ist!
Die Form, die das genetische Material in allen deinen Zellen
hat!«
»Als Hochzeitsgeschenk?«
Die Schiebetür zum Kleiderschrank war offen. In der
höhlenartigen Finsternis dahinter konnte Judy gerade noch die
Umrisse von Bens Anzügen ausmachen: leer herabhängende
Ärmel und Hosen, Länge 100. Vorhin hatte sie alle Taschen
durchgesehen. Die Schuhe standen in Reihen darunter, elegante aus
glattem Leder mit hohen Kappen, Sportschuhe und Mokassins von Gucci.
Judy konnte sie nicht wirklich sehen, aber sie wußte, sie
standen dort.
In Bens Hosen- und Jackentaschen hatte sich absolut nichts
befunden, nicht das kleinste Fetzchen Papier.
Seine Aktenschränke und den Inhalt der Schreibtischschubladen
hatte die Polizei mitgenommen.
Auch zwischen den Seiten seiner Bücher hatte Judy nichts
gefunden: keine Fotos, keine Briefe.
»Als Hochzeitsgeschenk?«
»Ich finde, es ist ein wunderbares Hochzeitsgeschenk! Er
ist schließlich Wissenschaftler!«
»Aber Schätzchen, du bist doch keine
Wissenschaftlerin! Du bist eine Braut!«
Judy glitt vom Bett. Ein Fuß war eingeschlafen, und sie
strauchelte und faßte nach dem Bettpfosten, um nicht
hinzufallen. Sie stand unsicher auf wackeligen Beinen, denn sie hatte
seit zwei Tagen nichts gegessen.
Langsam schwankte sie zur Tür, wobei sie es vermied, in den
Spiegel zu sehen. Zwei Stufen knarrten. Unten angekommen
schlüpfte sie in ihre Tennisschuhe; hart klappte hinter ihr die
Haustür ins Schloß.
Draußen war es immer noch stockfinster und kalt. Tau lag auf
dem Gras. Sie fröstelte, ging aber nicht zurück ins Haus,
um einen Pullover zu holen. Mutter würde sie hören. Oder
Vater. Das Geräusch des Motors würde sich ohnehin nicht
vermeiden lassen. Die Polizei hatte Bens Corvette
zurückgebracht. Der Wagen verstellte die Zufahrt, während
ihr Toyota und der Ford ihrer Eltern in der Garage standen. Judy
wollte das Garagentor nicht öffnen müssen, also nahm sie
die Corvette.
Unter ihren fadenscheinigen Jeans fühlte sich das rote Leder
kalt an, was sie merkwürdigerweise überraschte. Ben hatte
doch jeden Tag hier gesessen und seinen Körper in den Sitz
gedrückt, während er den Wagen fuhr – das Leder sollte
doch noch warm sein von seiner Wärme! Irgend etwas sollte doch
noch etwas von seiner Wärme haben!
Sie fror so sehr…
Bei der ersten Berührung des Gaspedals machte der Wagen einen
Satz vorwärts; sie war die Servolenkung nicht gewöhnt, und
ihre Hände zitterten auf dem Lenkrad. Sie zwang sich, langsam zu
fahren, vorsichtig zu fahren, um nicht angehalten zu werden. Drei
Häuserblocks weiter kam ihr zu Bewußtsein, daß sie
die Kette immer noch in ihrer rechten Hand hielt und daß der
Anhänger schwer gegen ihren Schenkel schlug.
»Aber Schätzchen, du bist doch keine Wissenschaftler
in! Du bist eine Braut!«
»Und was sollte er mir deiner Meinung nach schenken?
Irgendein kitschiges Herz? Vielleicht sogar mit einem Pfeil
darin?«
»Sei doch nicht gleich so ärgerlich! Ich wollte Bens
Geschenk ja nicht kritisieren.«
Sie fuhr die Straße 135 Richtung Osten, weil es die einzige
Route war, die sie kannte. Als sie an dem Stop &Shop vorbeikam,
wandte sie die Augen ab. Die Corvette schlug einen Haken und streifte
den sandigen Randstreifen der Asphaltstraße. Erschrocken
riß Judy den Wagen zurück, und als sie ihn wieder fest
unter Kontrolle hatte, lag der Stop & Shop-Markt bereits hinter
ihr. Sie verspürte ein Kribbeln im Nacken und ein Gefühl
der Enge im Kopf – noch kein wirklicher physischer Schmerz, aber
eine Vorahnung davon.
In Needham bog sie von der Straße 135 nach Norden ab. Es
wurde jetzt hell, ein erster bleicher Fleck, noch ohne
identifizierbare Farbe, kroch von Osten herauf. Judy bog in die
Einfahrt zu dem Reihenhauskomplex ein, hielt an
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