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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Caroline
an, die sich zusammengesunken an einen fremden, hochgewachsenen Mann
klammerte. Wo war dieser Mann hergekommen? »Ich bin nicht
jemand, der so etwas tut.«
    »Judy«, sagte eine Stimme hinter ihr. Sie drehte sich
um. Ihr Vater stand da und sah sie mit traurigen Augen an.
    »Wer immer Sie sind«, sagte der fremde Mann zu ihrem
Vater, »bringen Sie um Gottes willen diese Verrückte hier
weg! Meine Nachbarin hat in diesen Tagen schon genug gelitten. Ihr
Boss wurde überfallen und umgebracht, und jetzt das
hier!«
    Judy ignorierte den Mann. Sie ignorierte auch ihren Vater. Sie
fuhr fort, Caroline anzustarren, die unkontrolliert schluchzte. Immer
mehr Lichter gingen an in den Reihenhäusern.
    »Es tut mir leid«, sagte Judy leise.
    »N-n-nein, mir tut es leid, mir tut es so leid!« weinte
Caroline.
    Judy runzelte die Stirn. Diese Worte ergaben keinen Sinn. Sie war
doch diejenige gewesen, die hierhergekommen war, um zu sagen… um
was zu sagen? Hergekommen – um was zu erreichen? Da hatte es
doch etwas gegeben… Plötzlich gaben ihre Knie nach, und sie
schwankte.
    Ihr Vater legte einen Arm um sie. »Komm, Kleines.«
    Ungeachtet ihrer zitternden Knie wand sie sich ein bißchen,
um ihm ins Gesicht sehen zu können. »So etwas tue ich
nicht.«
    »Ich weiß das, Kleines. Du bist momentan nicht ganz du
selbst. Komm jetzt mit.«
    »Tut mir leid«, sagte Judy noch einmal zu der
schluchzenden Caroline. Der hochgewachsene Mann warf ihr einen
finsteren Blick zu. Judy ließ sich willenlos
wegführen.
    Auf dem Beifahrersitz im Ford ihres Vaters begann sie heftig zu
frösteln. Er drehte die Heizung an, aber das half nichts. Sie
fröstelte bis an die Knochen, bis ans Mark. Ihre Finger waren
wie aus Eis – nur war das Eis innen, denn es fühlte sich an
wie etwas, das sie festhielt, etwas Kaltes, Hartes. Eine Doppelhelix
an einer Kette.
    »Sei doch nicht gleich so ärgerlich! Ich wollte Bens
Geschenk ja nicht kritisieren!«
    »Was denn sonst, Mutter?«
    »Ich würde mir nur wünschen, er hätte etwas
ausgesucht, was mit dir in Beziehung steht und nicht mit ihm. Das ist
alles.«
    »Das ist alles«, sagte Judy.
    Ihr Vater warf ihr einen Seitenblick zu. Sie bogen soeben in die
Einfahrt zu ihrem und Bens Haus in Natick ein. Wie waren sie
überhaupt hierhergekommen? Sie erinnerte sich nicht an die
Heimfahrt. Wo war Bens Corvette? Noch bei der Polizei?
    Vater bewegte die Lippen. Er betete. Für sie, das war ihr
plötzlich bewußt.
    »Papa…?«
    »Was denn, Kleines?«
    Sie konnte nicht sprechen.
    »Judy?«
    »Papa, ich glaube, ich bin nicht ganz bei Sinnen.«
    Er parkte den Ford und stieg aus. Als Judy sich nicht rührte,
ging er um den Wagen herum, öffnete ihre Tür, hob sie
heraus und stellte sie auf die Füße. Er fühlte sich
warm an. Sie hängte sich an ihn, und sein altes Wollhemd kratzte
sie an der Wange.
    »Ich denke«, sagte er behutsam, »daß du
für eine Weile zu Mutter und mir nach Troy kommen solltest. Nur
ein paar Wochen, Kleines. Bis du wieder du selbst bist.«
    Judy antwortete nicht. Sie klammerte sich nur an sein Hemd und
spürte, wie sich ihre Haare über der Stirn bewegten, als
seine Lippen mit einem lautlosen Gebet für sie
darüberstrichen. Sie wußte nicht, ob sie nach Troy wollte
oder nicht. Sie wußte gar nichts mehr. Ben war tot, und er
hatte sie betrogen, und sie liebte ihn so sehr, daß sie selbst
sterben wollte – bloß kam der Tod immer nur dann, wenn man
ihn nicht wollte, und nie dann, wenn man ihn herbeiwünschte. Das
wußte sie jetzt. Das Licht ging an im Haus, und Vater
führte sie hinein, ganz sanft, als könnte sie zerbrechen.
Bens Doppelhelix steckte in ihrer Faust, schwer und kalt.

Am Morgen
in seinem Apartment in Washington wachte Cavanaugh mit einer
Erkältung auf. Der Kopf tat ihm weh, die Nase war verstopft, und
das Schlucken fiel ihm schwer, noch ehe es etwas zu schlucken
gab.
    »Scheiße«, sagte er laut, damit seine Kehle etwas
hatte, woran sie halb ersticken konnte. Von allen leichten Wehwehchen
haßte er Erkältungen am meisten. Man war nicht krank
genug, um im Bett zu bleiben, und man war nicht gesund genug, um sein
Tagespensum zu leisten. Schließlich schnupfte und rotzte man
sich durch einen schwachen Abklatsch von Arbeit wie ein weiteres
Gerät, das nicht richtig funktionierte. Unbrauchbar. Es war eine
Vergeudung von Steuergeld. Und es war eine Schmach, daß
ausgerechnet ihm das passieren mußte.
    »Du bist auch nur ein gewöhnlich Sterblicher«,
pflegte Marcy stets – durchaus

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