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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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Wut
schlug ich um mich.
    Und mit leisem Hauche strich der Abendwind herbei, und
die Bäume neigten ihre Häupter seufzend, als klagten sie, daß
ich mit meiner frevlen Unrast ihren Frieden schände.
    Da knackte es im Buschwerk. Der Fremde kam daher, der
düstre Unbekannte von zuvor. Das war ein Fingerzeig, da
war ein Opfer, eine Beute. Ich raffte einen Ast an mich und
stürzte auf ihn zu, mit hochgeschwungnem Knüttel gegen seinen
Kopf.
    Aber ich weiß nicht, wie das kam, mitten im Schwunge
war es, als erlahme meine Hand. Kraftlos fuhr das Holz zu
Boden.
    Der andere sprach ruhig, ohne Verwunderung und ohne
Zorn: »Ich habe Euch gesucht, Ihr wolltet mich recht unfreundlich
empfangen.«
    Fremdklingend, tief und rauh war seine Sprache.
    »Töten wollt’ ich Sie, ja, ich gestehe es. Erschlagen und berauben.
Machen Sie nun, was Sie wollen.«
    »Mich töten!« Und er lächelte. Es war nicht Spott — obwohl
er mich um Haupteslänge überragte —, wehmütig war das Lächeln.
»Ihr könnet mich nicht töten. Niemand kann mich töten.
Und wenn Ihr’s könntet, wäre ich Euch dankbar . . .
Doch erzählet mir, was Euch so sehr bedrückt.«
    Ich erzählte ihm alles. Ich nahm ihn mit nach Hause, zeigte
ihm meine Pläne und Notizen, ließ ihn alles sehen, was ich in
langen, mühevollen Jahren geleistet hatte. Was ich noch keinem
Menschen je verraten, was ich vor meiner eignen Mutter
streng geheimhielt, diesem Fremden, den ich nie zuvor gesehen,
vertraute ich es an. Er ist und bleibt der einzige auf Erden,
der um mein Geheimnis weiß.
    Als er alles recht besehen hatte, sprach er mit tiefem Ernste:
»Und Ihr fürchtet nicht, daß Gott Euch strafe?«
    »Gott?« Ich unterdrückte Schlimmeres, um meinen Gast
nicht zu beleidigen, und sagte bloß: »Soviel ich weiß, tat ich
nie Böses — bis heute.«
    »Diese Erfindung ist das Böse. Ihr fordert damit Gott heraus.«
    »Dann ist jegliche Erfindung böse und jeder Fortschritt
schlecht. Die Eisenbahn ist böse und das Luftschiff erst recht;
denn offenbar will Gott, daß wir zu Fuße gehen, wie er uns erschaffen
hat. Die Pockenimpfung ist des Teufels, denn Gott
hat die Bazillen über uns gebracht, wir müssen sie hinnehmen,
dankbar und ergeben . . . Die Pfaffen haben’s so gelehrt, und
darum mußten Savanarola und Giordano Bruno auf dem
Scheiterhaufen sterben.«
    »Was soll der Unsinn? Ihr wißt sehr wohl, daß ich dies
nicht meine. Nein. Was bisher ersonnen wurde, dient dem
Raume. Ihn mag der Mensch beherrschen. Aber die Zeit ist
Gottes. Wer die Zeit besiegen will, der greift in Gottes Allmacht
ein, den wird er strafen.«
    Dann brach er ab und sah mit trübem Blicke auf die abendlichenStraßen, auf die fernen Linien der Berge, und mir erschien
die altvertraute Stube, rings alles, wie verzaubert.
    Als er sich meiner wiederum besann, reichte er mir einen
Beutel schweren Goldes. Damit möge ich das unterbrochene
Werk vollenden. Nur bedang er sich aus, daß ich ihm jederzeit
auf sein Verlangen den Fortschritt vorweise und die Arbeit,
wenn sie vollendet sei, mit allen Einzelheiten vorführe.
    Mit ungestümen Worten dankend, konnte ich mich nicht
enthalten zu fragen: »Wenn Sie so gottesfürchtig sind und
wenn nach Ihrer Ansicht meine Erfindung Sünde ist, wie
kommt es, daß Sie ein solch gotteslästerliches Unterfangen
fördern?«
    »Ich weiß nicht, wo die größte Schuld liegt: einen Sünder
wissentlich umkommen lassen oder ihn retten, daß er weiter
sündige. Daß Ihr Euch umbringt, konnte ich verhindern: daß
Ihr Euer Werk vollendet, dies kann Gott verhüten. Mag Gott
entscheiden . . . Aber wie’s auch sei . . . mag mich Schuld und
Strafe treffen. Ich bin gestraft genug; ich habe nichts zu hoffen,
nichts zu fürchten . . . Und dann . . . mir ist’s, als hätten
wir uns schon gesehen. Darum bin ich Euch ja gefolgt.«
    Er schloß die Augen, strich sich über die Stirne wie in fernem,
dämmerhaftem Rückbesinnen und murmelte: »Ja, lang
zuvor . . . Die Fügung Gottes . . . Daß wir uns einstmals sahen,
dazu muß ich Euch jetzt verhelfen.«
    Ich weiß nicht, wie es kam, ein süßes und doch schmerzliches
Erwarten, ein tief geheimnisvoller Schrecken erfaßte
mich bei diesen dunklen Worten. Erbleichend schloß ich
meine Augen, und ich sah, schattenhaft und ferne, die alte
Linde unterm Fenster, sah mich selbst, wie ich den Stamm
umschlang, in alter, längst verschollener Tracht, in unaussprechlich
tiefer Schwermut, jählings verschwand es wie ein
Spukbild, und ich schaute

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