Verirrt in den Zeiten
verschloß,
und mein letzter Blick, da ich sie versperrte, fiel auf
meine Mutter, die durch den Lärm herbeigerufen worden
war.
Ich möchte wohl mit der Kraftschaltung unvorsichtig hantiert
haben; denn als ich meine Augen aufschlug, fand ich
mich auf dem Boden liegend.
Ich hatte jenes seltsame Gefühl der Zeitlosigkeit, das uns
beherrscht, wenn wir aus einer Ohnmacht oder aus dumpfem,
tiefem Schlaf erwachen, und in mir war ein Zittern wie nach
einem Sturz aus ungeheurer Höhe. Vielleicht war’s wirklich
ein elektrischer Schlag gewesen. Freilich war es dann ein beispielloses
Wunder, daß ich lebte.
Das erste, was mir wieder in den Sinn kam, war der Fluch
des Juden. Es bedrückte mich wie eine bange Ahnung, und ich
beschloß, ihn aufzusuchen, ihm Abbitte zu leisten. Aber wo
ihn suchen?
Ich öffnete die Türe. Daß sie unversperrt war, wo ich sie
doch innen selbst verschlossen hatte, fiel mir in meiner Benommenheit
nicht auf.
Hier hatte er gestanden, drei Schritt vor der Türe, beim
Geländer. Wann? Vor zehn Minuten, vor vier Stunden? Und
die Sonne, welche durch die rote Fensterscheibe fiel, hatte ihn
in feuerfarbnen Glanz getaucht.
Wo war der purpurrote Strahl denn hingewandert? Ich
blickte auf das Treppenfenster, vor dessen vielfarbigen Scheiben
ich als Kind so oft gekauert hatte, um — bald durch diese,
bald durch jene Scheibe guckend — mir drüben auf der andern
Straßenseite das Haus des Wagnermeisters Krönlein und
in der Ferne die Gehöfte und die Äcker in wechselnd bunten
Farben zu betrachten.
Aber die bunten Scheiben waren fort; da war jetzt eine
Lucke, gefüllt mit grobem Glas. Warum war denn das hübsche
Treppenfenster fortgenommen worden? Wieder um zu
sparen? Oder hatte da schon der neue Käufer unsres Hauses
seine Hand im Spiele?
Und durch das trübe Glas schien alles so verändert. Das
Haus des Krönlein hätte ich gar nicht erkannt, und seltsam,
die Äcker und Gehöfte in der Ferne, die waren wie verschwunden;
undeutlich schimmerte es da wie Wald. Schlaftrunken
rieb ich mir die Augen und reckte mich.
Ich sah nach meiner Uhr; sie stand. Seit ich sie besaß, seit
fünfzehn Jahren, das erste Mal. Wahrscheinlich durch den
schweren Sturz, den ich noch in allen Gliedern spürte.
Wie spät mochte es denn sein? Die Sonne — deutlich sah
ich’s durch das Fenster — stand noch hoch am Himmel.
Sonderbar. Als ich mich abgeschlossen hatte, war es sicherlich
schon vier. Und jetzt, nach dem Sonnenstand zu schließen,
war es spätestens nach zwei.
Täuschte ich mich, oder sollte ich wirklich — aber das war
doch nicht möglich — sollte ich wirklich einen ganzen Tag geschlafen
haben?
Warum hatte mich die Mutter nicht geweckt?
Ja, ich muß nach der Mutter sehen. Auch spürte ich auf einmal
fürchterlichen Durst und Hunger.
Da ging die Türe. Mütterchen mußte kommen.
Aber, nein, das war die Mutter nicht. Ein fremdes junges
Frauenzimmer. Ich hatte sie noch nie gesehen. Hatte die sich
putzig ausstaffiert! Wie zu einem Maskenball. Puffärmel,
einen langen, weiten Rock und Haube.
Sie hielt den Blick gesenkt, sah mich also nicht. Als sie an
mir vorbeikam und mich streifte, schreckte sie auf, und mich
gewahrend, stammelte sie etwas wie »Alle guten Geister« und
stürzte, bebend vor Angst, die Treppe hinunter.
Aus dem ersten Stockwerk hörte ich Geräusch. Die Räume
standen schon seit langem leer. War denn der neue Käufer
heute eingezogen statt erst in zwei Wochen? Ich stieg hinunter
und ein verschlafnes Kätzchen strich mir übern Weg.
Aus dem großen Saal im ersten Stockwerk drangen Stimmen.
Ein Zwiegespräch. Es war so seltsam, daß ich mitten auf
der Treppe stehenblieb und horchte.
Einundzwanzigstes Kapitel
» S chlecht habt Ihr die Zeit gewählt für Eure Rückkehr. Krieg
und nochmals Krieg. Als Ihr vor fünf Jahren nach Welschland
zoget — da sagte ich — erinnert Ihr Euch noch? — Wenn er
zurückkehrt als ein großer Maler, dann ist schon lange teutscher
Friede. Gutes Geld wird sein und die große Ratsstube auf
der Schranne, die wird von Meister Konradin mit einem Friedensbildnisse
geschmückt. Und nun seid Ihr da und seid ein
großer Meister, Konradin, aber Frieden ist noch lange nicht.
Schlimmer ist’s denn je, Herr Jesus, vierzehn lange Jahre
schon. Was werden sie noch aus dem armen Teutschland machen?
Ein Trümmerfeld, auf dem Mordbrenner hausen.«
»Ja, ich hab’s schon damals nicht verstanden, und ich versteh’s
auch heute nicht, daß sie sich um des Glaubens willenspießen
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