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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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die Hand:
    »Da Ihr nun einmal in meinem Hause seid, seid Ihr mein
Gast. Ich will Euch schützen.«
    Der Maler lächelte ihm dankbar zu. »So habe ich’s von
Euch erwartet, gestrenger Ratsherr, so von dem Ahnherrn gegenüber
seinem Enkel. Nur wollen wir an eines nicht vergessen.
Es tut nicht gut, wenn allzu viele um Euer Geheimnis wissen,
Herr Erasmus. Denn wen Gott durch ein Wunder auserwählt,
dem läßt’s der große Haufe nur zu oft durch Tücke
und durch Haß entgelten, und das Martyrium ist gerne der
Trabant des Wunders. Davor wolle Euch Gott beschützen,
und wir wollen Euch davor bewahren, indem wir uns geloben,
Euer Geheimnis treu zu hüten.«
Vierundzwanzigstes Kapitel
    N achdem ich mich an Speis und Trank gelabt, ging ich hinauf
in meine Stube, die für mich nunmehr Gastzimmer war.
    Dort fand ich schon ein vollständiges Gewand, das mir die
Aufmerksamkeit meines Wirtes vorbereitet hatte. Bald war
ich umgekleidet und sah mich an mit jener liebevollen Neugier,
die auch der Ernsthafteste seinem Ebenbilde, zumal in
ungewohnter Tracht, entgegenbringt.
    Vor mir im Spiegel stand mit düster-würdevoller Miene ein
Magister oder Rastherr: Im breitkrempigen Hut, im schwarzen,
pelzbesetzten Überrock mit Spitzenkragen, das Wams
aus bläulichem Damast, schwarze Strümpfe, Degen.
    Eine Brücke war damit geschlagen; das Wunder wandelte
sich in ein Schauspiel. Ich stieg hinab und tauchte unter in der
Menge.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
    W enn wir absehen von den Wonnen der Liebe, die kurzlebig
sind, und von dem Glück des Schaffens, das nur wenigen beschieden
ist, so hat uns die Natur nur einen Freudenquell erschlossen:
die Betrachtung. Doch die Kunst — sie dient ja der
Betrachtung — ist nur ein unzureichender Ersatz der Wirklichkeit,
und die Wirklichkeit, das Leben selbst, ruhig-genießend
zu betrachten, nur wenigen, erles’nen Geistern ist’s vergönnt.
    Allzu tief sind wir verstrickt in Haß und Gunst und in die
Not des Alltags.
    Doch habt Ihr Euch je zu einem Maskenfest verkleidet?
Habt Ihr nicht die seltsame Veränderung gefühlt, die mit der
Änderung der Tracht Euch überkommt? Das Abenteuer, die
Erwartung?
    Und nun denkt Euch, daß jenes flüchtige, begrenzte Spiel
Wirklichkeit wird, zu einer Wirklichkeit, die unberührt vonunseren Wünschen bleibt! Ahnt Ihr wohl den zauberhaften
Reiz des Schauspiels, das mich nun berückte? Was immer
mich erwarten mochte, die Wonne jenes Abenteuers wog’s
nicht auf.
    Bald ließ ich mich vom Strom der Menge treiben, besah mir
die Gehaben, ihre Trachten; bald sah ich auf der Wiese den
Seilern zu, wie sie die Taue haspelten, und in den Torwegen
den Tuchscherern und Leinewebern, wie sie des Tages Losung
überzählten; bald lugte ich durchs Fenster einer Schenke
auf die Menschen, wie sie beim Würfeln ihr bißchen Ehr’ und
Gut verspielten, wie sie im Halbdunkel hinter ihren Humpen
saßen und in jener längst verschollnen, urwüchsigen Sprache
von Sorgen und von Wünschen redeten, die mir so weltenferne
waren; bald blieb ich stehn vor irgendeinem Hof, der
schweigend träumte, seltsam verändert und doch so vertraut.
    Es war ein köstlich-milder Abend, in tiefen Zügen schlürfte
ich die wonnevolle Luft und alles war so bunt, gewichtslos
schwebend, wie ein Traum. Bald schelmisch-neckend — denn
hinter diesem Scheine war der alte, wohlbekannte Anblick aller
Dinge gleichsam vermummt, verborgen —, bald düster-ernst;
denn auf den Stadtmauern waren Batterien aufgefahren,
und von dem Hochgerichte reckte der Galgen drohend seine
Arme.
    Und wie eine sonnbeglänzte Landschaft doppelt lieblich
und geheimnisvoll erscheint, wenn am Horizonte fahle Wetterwolken
lagern, so erhöhte der große Krieg, der ringsum
brandete und der auf alle Dinge seinen Schatten warf, den
Zauber des Erlebten.
    Wie in einer Taucherglocke war ich hinabgelangt in nie betretene
Gefilde, vom Ozean der Zeit längst überflutet, und
war umringt von Wundern und von Grauen, handgreiflich
nahe und doch — wie durch eine Glaswand — unnahbar getrennt.
    Und auch ich war ihnen fremd und fern, trotz meiner
gleichartigen Tracht. Irgendein schreckhaft-düstrer Schein
des Unbegreiflichen mochte mich umhüllen. Ich sah’s anihren Blicken. Und wenn mir unter blonden oder braunen
Flechten so manches Augenpaar verheißend oder schalkhaft
fragend entgegenleuchtete, im nächsten Augenblick schon
senkte es sich scheu und angstvoll.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
    A ls ich zur Ruhe ging, da hatte ich einen seltsamen Traum. Es
war

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