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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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Sänfte, die vorbeigetragen wird, hält an, und hinter
ihrem leichtbewegten Vorhang sehe ich ein holdseliges Antlitz.
    Tiefes Schweigen herrschte, nur der Strahl des Brunnens
auf dem Markte begleitete mein Spiel melodisch und bescheiden.
Da standen sie und horchten, schweigend. Die harten
Kriegsknechte starrten verlegen vor sich hin, mancher gab
schüchtern mit der Hand den Takt, und andre wiegten ihr Angesicht,
glückselig und ergriffen lächelnd. Wie ein altes, buntes
Bildwerk lag’s vor mir, und halb scherzhaft fuhr mir’s
durch den Sinn: Nun könntest du diese betörten Kinder wie
ein zweiter Rattenfänger mit dir führen, in ihrer Seligkeit, in
ihr Verderben.
    Übermächtig war die Wirkung; gleichsam als ob vor einer
Horde Wilder mitten in der Wüste ein Palast von nie geahnter
Pracht erstünde. Und mir bleibt es unvergeßlich, wie
die Kunst der lange heimgegangnen Meister, der Nachgeborenen,
ihre urlängst abgeschiednen Ahnen nun berückte.
    Wenn die Überklugen meinen, die Melodie sei zeitgebunden,
hier ihre Widerlegung. Die Melodie ist ewig wie ein
Schmerz und wie die Freude. Mir aber war’s ein unsagbarer
Trost, zu sehen, wie der Geist durch die Jahrhunderte beglückend
wirkt und friedebringend.
Achtundzwanzigstes Kapitel
    K onradin zeigte mir seine Skizzen und Gemälde. Es waren
glanzvolle Kunstwerke; deutsche Tiefe und südliches Feuer
verbanden sie zu nie geschauter Schönheit. Und diese überwältigende
Fülle erlesner Meisterstücke hatte der göttergleiche
Jüngling im Alter von kaum dreiundzwanzig Jahren zuweg
gebracht! Wo blieb denn nur sein Ruhm in der Geschichte?
Sein Name hätte leuchten müssen neben Leonardo,
Rafael und Tizian. Doch er starb unbekannt, sein Name war
vergessen, seine Werke sind vernichtet.
    Immer wieder wünschte er das Lichtbild zu betrachten, das
ich bei unsrer ersten Begegnung vorgewiesen hatte. Auch ließ
er sich von mir das Wesen der Photographie auf das Genaueste
erklären. Seither war er verzagt und düster. Vergebens hielt
ich ihm entgegen, wie viele große Maler noch in der Zukunft
schaffen würden, von Murillo und Goya bis zu Böcklin und
Segantini, und daß auch in meinen Tagen die Malerei als eine
edle Kunst mit unbegrenzten Möglichkeiten betrieben und
bewundert werde.
    »Nein, ich verharr’ dabei«, entgegnete er immer wieder,
»daß man mit dieser neuen Kunst jedwedes Malwerk überflüssigmachen wird, als wie die unbekannten Kräfte, von denen
Ihr mir jüngst erzähltet und mit denen Ihr Eure Wagen
und Eure Schiffe treibt, die Pferde und die Rinder überflüssig
machen.«
    Im stillen mußte ich mich daran erinnern, daß auch in meiner
Zeit Delacroix und Wiertz mit großem Ernst die Anschauung
vertraten, die Photographie, sofern man sie nur recht
verwende, werde dereinst die Malerei verdrängen.
Neunundzwanzigstes Kapitel
    D es Neuen und des Seltsamen gab es genug zu sehen. Konradin
war mein getreuer Wegweiser und Begleiter.
    Als wir einmal am Schulhause vorübergingen — heute, ich
meine zu meiner Zeit, ist der Platz davor verbaut, damals
war’s eine schöne, baumbestandene Wiese —, da kamen gerade
die Kinder aus der Schule.
    Neugierig blieben manche stehen, guckten mich an, das
Fingerchen im Mund, und tuschelten, halb naseweis, halb
furchtsam.
    Als ich sie so vorübertrippeln sah, die Rotznäschen,
die Pausbäcklein, die Schiefertafel mit dem vorwitzigen
Schwamm im Ranzen, die einen haschend und die andern
schmollend und andre wieder plappernd und manches still
vor sich summend, da hielt ich mitten im Gespräche inne und
starrte sie an.
    Verhaltnes Weinen schnürte mir die Kehle zu, und stärker
als mein Wille, erschütterte mich jähes Schluchzen. An einen
Baum geschmiegt, weinte ich unaufhaltsam, wortlos, hilflos,
fassungslos, so daß die Kindlein stehenblieben und mich fragend
mitleidig betrachteten.
    »Was habt Ihr denn, Erasmus?« fragte mich Konradin. »So
faßt Euch doch! Seid Ihr ein Mann? Was soll denn dies Gehaben?«
    Und er, der Sanfte, Gütige, wollte schier ungehalten werden
bei diesem unverständlichen Wehklagen.
    »Ach, Konradin, wie soll ich denn nicht weinen beim Anblick
dieser Kinder. An ihre Gräber muß ich mich erinnern, an
ihre längst verfallnen Totenkreuze, über die ich drüben auf
dem Kirchhof so oft gestrauchelt bin!«
Dreißigstes Kapitel
    W enn wir eine unbekannte Gegend, eine fremde Stadt auf
einer Wanderschaft betreten, so ist es erst die Landschaft,
welche wir betrachten, die Gebäude, dann die Menschen.
Ihnen treten wir

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