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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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beziehungslos entgegen. Die schweren Ketten,
die uns sonst stets an sie fesseln, Liebe und Haß, Ehrgeiz
und Mißgunst, an denen wir all unsre Tage so hart zu tragen
haben, sie drücken nicht, sie fehlen. Daher das köstlich Unbeschwerte
jeder Wanderschaft.
    Beziehungslos den Menschen gegenübertreten, wie von
einem fremden Stern auf dieses irdische Getriebe hinabzuschauen,
wie oft, wie sehnlich hatte ich darnach verlangt,
wenn ich mich vor der Kümmernis des Alltags und vor der
Niedertracht der Menschen vergeblich flüchtete! Nun war es
mir beschieden. Durch die geheimnisvolle Kraft des bloßen
Wunsches? Durch ein Wunder? Oder durch mein eignes
Werk, das mir entglitten war, sobald es sich erfüllte?
    Aber so wie für den Wanderer, wenn er Fuß faßt, wenn er
sich einläßt in das Tun der Menschen, die unschuldvolle
Landschaft gleichsam zurücktritt, aus einem Bild zum Rahmen
wird, so verblaßte mir allgemach der märchenhafte
Schimmer, der über allen Dingen lag. Die Schwerkraft der
Wirklichkeit begann zu wirken, die Wanderung wurde zum
Verweilen, es kam die Notdurft des Alltäglichen zu Worte.
    Die paar Münzen, die ich bei mir führte, konnten nicht
mehr lange reichen, und die Gastfreundschaft meines Ahnendurfte ich doch nicht ins ungemessene mißbrauchen. Auch
war’s nicht meine Art, die Hände müßig in den Schoß zu legen.
    Und was gab es da noch alles zu vollbringen! Hinter der
Drehbank, auf dem Ambos verfertigten sie mühevoll und
langsam, was wir mit einem Griffe unserer Maschinen zuwegebringen.
Die Kraft des Dampfes, die Elektrizität war unbekannt.
Brauche ich es erst zu schildern? In jedem Schulbuch
steht’s geschrieben: Handwerk, Zunftgeist.
    Mit einem Meer von Licht und Kraft wollte ich dies dürre
Brachland überfluten.
    Zehn Klafter Erdreich brauchte ich dazu; ein Heim und
eine Werkstatt. Hier wollte ich alle meine Wunderwerke
schaffen, durch sie das Angesicht der Welt verändern und
mich zu ihrem Herrn machen.
    Draußen vor den Toren, unfern der Stadt, besaß Matthäus
Büttgemeister eine Jägerhütte. Sie war vor Jahren gänzlich
ausgeplündert worden und stand nun leer; denn niemand
wagte, das schützende Weichbild der Stadt zu verlassen. Das
Häuschen überließ er mir.
    Es war auf einer Anhöhe gelegen, und von hier aus überschaute
man die ganze Stadt. Ein Bach ergoß sich längs des
Hügels. Es war nicht schwer, durch eine Schleuse sein Gefälle
zu verstärken und den also erzeugten Wasserfall zum Antriebe
eines kleinen Kraftwerks zu verwenden. Ein Stacheldraht,
mit hochgespanntem Strom geladen, sollte dieses Haus
zu einer Festung machen. Hatte ich erst einmal Elektrizität,
so war ich unbezwinglich.
    Konradin, so war mein Wunsch, sollte in dem neuen
Heime mein Gefährte sein. Hier in der Einsamkeit würde
seine Kunst sich doppelt wunderbar entfalten.
    Doch er nahm mein Angebot nur mit Zögern an: »Trübe
Ahnung drückt mich, teurer Freund. Immer muß ich fürchten,
daß Euer Wissen Unheil bringe, über Euch und über mich.
Wenn’s Euch nun schon einmal in Gottes Rat beschieden ist,
in unsrer Zeit zu leben, so lebt mit uns und lebt gleich uns, mitunsren Wünschen, unsrem Können. Bescheidet Euch. Bedenket
doch den Haß, den Neid und die Ungläubigkeit, die Euer
vorzeitiges Wissen, wenn Ihr es preisgebt, bei unserm Volk
erwecken wird. Die Zeit ist noch nicht reif dafür . . . Aber ich
weiß, Ihr werdet es nicht können lassen, Eure Künste, Euere
Maschinen. Und das wird Unheil bringen.«
    »Wenn’s Gottes Ratschluß ist, daß ich in dieser Zeit hier
lebe, so kann es auch nicht gegen seinen Willen sein, daß ich
als der Mensch weiterlebe, der ich bin, mit meinem Wissen,
meinem Streben. Oder ist’s auch gegen Gottes Willen, wenn
ein Schiffbrüchiger, der zu Kannibalen verschlagen wird,
nicht Menschenfleisch frißt und weiter sein Gewehr benützt,
sein Fernrohr und den Kompaß statt Pfeil und Bogen und des
freien Auges? . . . Und wenn es gegen Gottes Willen ist, dann
wird er’s zu verhindern wissen.«
    »Ach, sprechet doch nicht so. Ihr fordert damit Gott heraus.«
    »Daß doch alle, die mir gut sind, sich vor meinem Wissen
fürchten. Meine Mutter, der vor meiner eigenen Erfindung
bangte, und nun Ihr. Immer wieder diese kleinmütige Angst
vor Neuerung und Fortschritt, die das Licht flieht, weil sie
seine Flamme fürchtet. Aber mich soll es nicht schrecken.
Hier in dieser blutbefleckten Wüstenei will ich das Panier des
zwanzigsten Jahrhunderts hissen. Ich will das Licht der

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