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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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Echtheit der Legende zweifeln. Hat doch
selbst der Kardinal Cäsar Baronius dawider geschrieben.
Auch hat sich das Begebnis bei fernen Völkern und vor
grauen Jahren zugetragen, da es noch genug der Wunder
gab.«
    »Aber auch aus unserer Zeit«, erwiderte der Maler, »in unserm
Lande wird ähnliches berichtet: Bei der Stadtwache zu
Mergentheim — so heißt es — erschien eines abends ein steinaltes
Weiblein, im weißen Brautkleid, den Jungfernkranz
auf den schneeweißen Haaren, und fragte nach dem Bürgermeister
Altringer. Als man ihr bedeutete, einen Bürgermeister
Altringer kenne man nicht, es gebe auch keinen dieses Namens,
da tat sie sehr erstaunt und sagte, man solle sie doch
nicht zum Besten haben, sie selbst sei ja des Bürgermeisters
Töchterlein, und vor wenig Stunden habe sie das elterliche
Haus verlassen.
    Man hielt sie für eine Närrin und fragte sie, scheinbar im
Ernst, was sie denn während der paar Stunden getrieben.
Worauf sie erwiderte: Am heutigen Tage hätte ihre Hochzeit
stattfinden sollen mit einem Junker aus der Nachbarschaft.
Doch da sie ihrem Freier nicht zugetan und nur für GottesSohn Liebe im Herzen trug, sei sie noch vor der Hochzeit aus
dem Elternhaus entflohen.
    Unfern der Stadt habe sich ihr ein Fremder von engelgleicher
Schönheit zugesellt; der führte sie in einen wundervollen
Garten. Hand in Hand mit ihrem Führer lustwandelte sie hier
und freute sich an seinem sinnreichen Gespräche, an lieblicher
Musik und an der bunten Pracht noch nie geschauter Blumen
und Getiere. Bis sie ihr Wirt mit mildem Gruß entließ; nun sei
es Zeit für sie, zur Ruhe einzukehren.
    Die Stadtknechte hatten ihre Kurzweil mit der greisen
Braut und brachten sie zum Narrenturm. Doch der Stadtschreiber,
vor den die Sache kam, ein gütiger, gelehrter
Mann, dem fiel der fromme Blick der Greisin, ihr edler Anstand
fiel ihm auf, und die ergreifende Einfalt der Erzählung
ging ihm jäh zu Herzen. Was dem blöden Aug’ des Pöbels
eine Narrenposse schien, darin ahnte er ein überwältigendes
Wunder Gottes.
    Mitten in der Nacht ließ er das Weiblein vor sich führen,
und während sie draußen wartete, suchte er in den Chroniken
nach. Und wirklich fand er dort verzeichnet, daß vor über
hundertzwanzig Jahren die einzige Tochter des Bürgermeisters
Altringer, eine schöne, tugendreiche Jungfrau, am Tage
ihrer Hochzeit entflohen und seither verschollen sei.
    Indessen war das Weiblein aus dem Vorraum in die Stube
eingetreten, unbemerkt von ihren Wächtern, die der Schlaf
bewältigte. Als sie, sich über des Stadtschreibers Schulter beugend,
die Vermeldung in der Chronik las, als ihr Blick in
einen Spiegel fiel und sie ihr welkes Antlitz, die Jungfernkrone
auf den weißen Haaren sah, da erblühte ein glückseliges
Lächeln auf ihrem Angesicht. Sie seufzte: ›Wie dank’ ich
Dir, Herr Jesus Christ, daß Du mir die Erdenlast so leicht gemacht‹
und hauchte lächelnd ihre Seele aus. —
    Wenn nun all dies beglaubigt ist, warum soll die Erzählung
unsres Gastes erlogen sein? Ich glaube ihm; denn seine Augen
lügen nicht . . . Aus einem Bühnenspiele, das ich einstmals
hörte, hab’ ich mir gemerkt: ›Es gibt gar manches zwischenErd’ und Himmel, davon sich unser Aberwitz nichts träumen
läßt!‹ Ein Engelländer hat’s geschrieben, seinen krausen Namen
habe ich vergessen.«
    »Wohl. Mag sich auch alles, was Ihr uns erzähltet, in Wirklichkeit
so zugetragen haben . . . es bleibt ein Unterschied.
Daß einer von heute bis übermorgen, daß er von Weihnachten
bis Pfingsten schläft — ich kann mir’s denken. Warum
denn nicht? Der Bär schläft jeden Winter von Martini bis
Lichtmeß. Und daß ein Mensch fünfzig, meinetwegen zweihundert
Jahre schläft, ich kann es mir zumindest vorstellen.
    Aber daß einer von übermorgen auf ehegestern, daß er
von neunzehnhundertundsechs bis sechzehnhundertundzweiunddreißig
schläft, sich durchschläft durch den Mutterleib,
nein, das kann ich nicht begreifen. So wenig ich’s begreifen
könnte, daß die Kugel in den Lauf zurückfliegt, daß der
Vogel wiederum zum Ei wird statt das Ei zum Vogel.
    Nein, Euer Abenteuer, Fremdling, mutet an wie jenes Türkenmärchen,
das beginnt: ›Es war einmal, war einmal nicht,
da kam zu mir ein Bote und sagte: Heil dir, soeben kam dein
Vater auf die Welt. Und ich ging hin und fand den Vater in
der Wiege, weinend.‹
    Aber ich will mit Euch nicht rechten. Ich muß es glauben,
da ich’s nicht begreifen kann.«
    Und er erhob sich, reichte mir

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