Verirrt in den Zeiten
Wissenschaft
noch ungeborener Geschlechter bringen. Ich will es
bringen . . .«
»Und solltet Ihr darin verbrennen«, schloß Konradin in düstrem
Sinnen.
Einunddreißigstes Kapitel
W as ich zur Herstellung der Dynamomaschine brauchte, ließ
ich bei den Handwerkern der Stadt anfertigen, jedes Stück
bei einem anderen, so daß keiner um den Zweck des Ganzenwußte. Solange die Fertigstellung alles dessen, der Hausgeräte
und des Stauwerks in dem Bache währte, verweilte ich im
Hause meines Ahnherrn, ehrgeizige Träume träumend, wartend
und betrachtend.
Agathe suchte ich. Irre Hoffnung lockte. Wenn alle meine
Träume Wahrheit wurden, warum just dieser nicht? Ich
suchte sie des Morgens in der Kirche, bald in den Laubengängen
bei den Zünften, bald vor dem Stadttor auf der Wiese, wo
sich abendlich das junge Volk zu sammeln pflegte. Und wenn
es Nacht war, strich ich durch die stillen Straßen, und wo ein
später Lichtschein glänzte, starrte ich empor, und wo aus dunkeln
Fenstern trauliches Gespräch ertönte, blieb ich stehn und
lauschte — bis mich der hallend gleichförmige Schritt der
Scharwache verscheuchte.
Einmal, als ich an einem strahlend-heißen Nachmittag
nach Hause kam und durch die gute Stube ging, da sah ich
auf dem Fensterborde neben dem Spitzglas mit den Nelken —
die auf dem Bildnis meines Ahnherrn abgebildet sind — ein
Briefchen liegen.
Halb entfaltet war es, so daß die Schriftzüge undeutlich
sichtbar waren.
Ich weiß nicht, wie es kam, daß in dem weiten, schönen
Raume meine Blicke just durch jenes grobe Blatt Papier gefesselt
wurden. War’s Zufall, war’s der Sonnenstrahl, der es umspielte?
Und ich weiß auch nicht, sah ich nicht deutlich, war’s die
allzulange Keuschheit, die mich täuschte und verwirrte? Das
Blut schoß mir zu Herzen, als ich näher blickte: es war Agathes
Schrift auf jenem Blatte.
Aber war’s denn Täuschung, sah ich nicht ganz deutlich,
wie da geschrieben stand: »beschließlichen in Trewen«? Agathes
Handschrift war’s, nur ungefüge und verschnörkelt — wie
die Sprache.
Schon schritt ich näher, schon wollte ich den Brief ergreifen
und entfalten, da trat Matthäus Büttgemeister ein. Er sah
um sich, betrachtete mich einen Augenblick lang mißtrauischund finster, dann griff er nach dem Briefe und barg ihn in dem
Wams mit einer hastig-zärtlichen Gebärde.
Und wiederum ein andermal, als ich in meiner Stube las,
hörte ich im Garten unten Schritte und Gespräch. Das war
nichts Seltenes, und dennoch trieb’s mich diesmal an das Fenster.
Da sah ich meinen Ahnen in zärtliches Gespräch vertieft
mit einem jungen Mädchen, das er im Arme hielt. Eben treten
sie ins Haus, so daß ich nur die feine Wange, den edlen Hals
und noch das köstlich widerspenstige Gelock im Nacken mit
einem raschen Blick erhaschen kann.
Doch war das nicht genug: war’s nicht Agathe, die ich da
vor mir sah? Mein Herz erzitterte in süßem Schrecken, ich
stöhnte auf in sehnsüchtiger Freude und in bangem Zweifel,
ob sie’s wohl sei, und wenn sie’s wäre, ob sie noch mein
sei.
O Dante, Ariost, Petrarca, Ihr habet eueren Geliebten Unsterblichkeit
geschafft. Doch die gewaltige Monstranz leidender
Liebe durch die Jahrhunderte zu tragen, wer hat es je gewagt,
wer hat es je vollbracht — vor mir?
Zweiunddreißigstes Kapitel
S o kam der Tag heran, da ich das Häuschen draußen vor der
Stadt beziehen konnte. Ich war wehmütig-nachdenklicher
Stimmung; war’s doch das erste Mal, daß ich von meiner
Stube Abschied nehmen mußte.
Am letzten Abende ersuchte mich Matthäus Büttgemeister,
die große Uhr zu richten, den vielbestaunten Schmuck der guten
Stube. Sie war mir wohlbekannt. Stand sie doch zuletzt —
im zwanzigsten Jahrhundert — in meiner Stube droben; war
doch mein letzter Blick, eh’ ich verscholl, auf sie gefallen.
Sie war der Uhr am Dom zu Straßburg nachgebildet, dem
weitberühmten Werke, das Konrad Dasypodius, der Mathematiker,ersonnen und die drei vorzüglichen Meister Habrecht
— Isak, Josias, Abraham — nach vierjähriger mühevoller
Arbeit, im Jahre 1574, vollendet hatten.
In drei Stockwerken türmt sich der kleine Wunderbau empor,
und immer scheint das obere an sinnreich-kunstfertiger
Arbeit das untere zu überbieten, gleichsam als wollte der Erbauer
zeigen, daß alle Kunst auf Erden übertrefflich sei.
Im ersten Stockwerk ruhen die Planeten, alle sieben versinnbildlicht
durch Götterbilder, jede Gottheit thront auf
einem Wagen, und den Wagen ziehen Tiere,
Weitere Kostenlose Bücher