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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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welkes Laub,
eins um das andere sich überblätternd. Und durch die bunten
Scheiben fiel ein letzter Strahl der abendlichen Sonne und ließ
das Laub der Bäume draußen bald smaragdgrün, bald in purpurroten
Farben leuchten.
    Wie nun mein Blick all dies umfaßte, da erstarb mein Lächeln
in ein lähmendes, grauenvolles Sinnen. Hatte ich nicht
dies schon einmal gesehn? Die alte Wanduhr, die den Ablauf
vieler Tage, Wochen in einen kurzen Augenblick zusammendrängte;
der Wandkalender dort am Nagel, dessen Blätter
eines ums andre an jedem Tage abgerissen wurden und die,
zusammengeballt in der verdichteten Geschwindigkeit der
Zeit, sich scheinbar überblätternd, wie welkes Laub zur Erde
sanken; die Bäume draußen, deren Laub die rasende Beschleunigung
des Laufs der Jahreszeiten bald frühlingsgrün,
bald purpurn herbstlich färbte.
    Wo hatte ich dies nur schon einmal gesehn? Wie ein Blitz
durchdrang’s den Nebel, schreckhaft, jäh und blendend: Von
meiner Maschine aus hatte ich all dies gesehen, als ich die
große Reise antrat durch die Zeit.
    Erst langsam, zögernd, nicht viel schneller, als etwa ein
Fußgänger von einem Läufer überholt wird, so daß die Viertelstundenschläge
sich doch deutlich unterscheiden ließen.
Dann immer rascher, immer wilder, so daß ich viele Monate
in einem Augenblick durchraste.
    Und wie an einem Zuge, der dahinfährt, die Häuser, Felder,
Telegraphenstangen scheinbar vorüberjagen, wie also an
der Raum durchmessenden Maschine der Raum vorüberzieht,
so strich an meiner Zeit durcheilenden Maschine die
Zeit vorbei. Soweit sie ihre Spuren im Raume hinterläßt: im
Glockenschlag des Uhrwerks, im Blätterfall, im Lauf der Jahreszeiten.
    Auch entsann ich mich nun deutlich der ersten tastenden
Versuche, eh’ es mir gelang, die kaum entschwundne Stunde
wiederzugewinnen: die ungeheure Spannung, der unbändige
Triumph, wie drüben auf der Turmuhr der Zeiger rückwärts rückte, wie in dem Garten nebenan das kaum verflogene
Gespräch aufs neue anhub, wie die Nachbarstochter ihr
Stück auf dem Klavier von neuem übte. Gespräch und Melodien
seltsam verworren, unverständlich, da ich sie doch
von rückwärts hörte, gleichsam in einer Spiegelschrift des
Schalles.
Dreiunddreißigstes Kapitel
    F ragen flammten auf und schwebten überm Abgrund gleich
Irrlichtern und erloschen.
    Wiedererringen, was vergangen ist, und dem Künftigen
entgegeneilen; wohl . . . Aber wenn ich von heute in zweihundert
Jahren längst verstorben bin, wie kann ich dann zur selben
Zeit, auf der Maschine sitzend, leben? Vielleicht vomFahrzeug steigen und frisch und lebendig meine eigene Gruft
besuchen, wo meine längst vermoderten Gebeine ruhen?
    Und in der Vergangenheit: Wenn ich gestern ging und
stand und allerhand verrichtete, wie kann ich dann dasselbe
Gestern, auf der Maschine fahrend, noch einmal durchleben,
also zu gleicher Zeit auf der Maschine und außerhalb derselben?
Oder hat etwa die alte Fabel von den Doppelgängern,
welche sterben müssen, wenn sie je zusammentreffen, einen
ungeahnten, tiefem Sinn?
    Wenn es möglich ist, die Zeit zu überwinden, so muß es
doch, sowie es mir geglückt ist, ob früher oder später, auch
ein andrer Mensch zuwege bringen; es muß Gemeingut aller
Menschen werden, wie die Dampfmaschine, wie das Luftschiff.
Warum ist dann noch nie ein solcher Zeitumsegler
auch bei uns erschienen?
    Wenn es ihn gelüstete, haltzumachen irgendwo in der
Vergangenheit, hier die Errungenschaften künftiger Jahrtausende
bekanntzugeben, wäre nicht die Weltgeschichte eine
andere geworden? Ein Dampfboot für die Perser bei Salamis,
Europa wäre persisch; zwei Feldgeschütze bei den Puniern
vor Zama, und die Kultur des Abendlandes wäre punisch.
    Und wenn es solch einem Zeitenwanderer beifiele, zurückzujagen
bis in die entfernteste Vergangenheit, bis an die
Wiege allen menschlichen Geschlechts, und hier mit ein paar
Bomben oder mit einer Phiole giftiger Bakterien alles Leben
zu vernichten — wo wäre dann die Menschheit, wo ich selbst?
Und wenn ich jetzt meinen kinderlosen Ahnen Matthäus
Büttgemeister ums Leben brächte . . .
    Nicht länger konnte ich in diesen Flammenabgrund starren,
mein Blick umflorte sich, und ich versank in lähmende
Erschöpfung.
    Wie war ich hergekommen? War’s Landung oder Strandung?
Wo war es hingesegelt, das Gespensterschiff, wo war
das Flügelroß dahingestürmt, der Zauberdrache, die Chimäre?
Hat es ein Brontosaurier mit einem Prankenhieb zerschellt?
Wird man es einst in

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