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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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von meinen Plänen sprach, wehrte er ärgerlich
ab.
    »Erasmus, Ihr wißt, wie ich Euch liebe; daß ich mit Euch
fühle ob Eures ungeheuerlichen Schicksals und daß ich Eure
Geisteskraft und Eures Wissens Macht bewundre. Doch wenn
Ihr so sprecht, dann muß ich an der Klarheit Eueres Verstandes
zweifeln. Ihr habt mir doch erzählt, was die Geschichte
überliefert, was sich begeben wird seit unseren Tagen bis zu
der Zeit, aus der Ihr stammt. Nun sagt doch selbst: Wie wollt
Ihr ändern, was unabänderlich geschehen muß; wie wollt Ihr
Gottes Fügungen verrücken? Ist das nicht irrsinniger Trotz,
nicht Lästerung der Hoheit des allweisen Gottes?«
    Doch ich war wie betört von meinem düstern Rausch, so
daß auch jene Worte klarer Vernunft mich nicht erwecken
konnten, ja, ich suchte diesen Wahnsinn mit Gründen der
Vernunft zu stützen.
    »Nun, und wie reimt sich, was mir widerfuhr, mit jener
gottgewollten Logik aller Dinge? Nein, wenn schon Ungeheueres mit mir geschah, dann soll auch Ungeheueres durch mich geschehn. Gewiß, in den Geschichtsbüchern steht geschrieben,
daß alles so gekommen ist, wie ich’s Euch erzählte.
Aber muß es darum auch so kommen? Wißt Ihr nicht, wie sich
die Philosophen aller Schulen mühen, zu beweisen, daß das,
was ist, auch wirklich ist? Herbert Spencer sagt: Nichts läßt
sich weniger beweisen als die Wirklichkeit dessen, was gewesen ist.
    Immer muß ich da an ein Erlebnis meiner Kindheit denken:
Eines Tages kam hierher nach Ansbach ein Fremder . . .«
    Ich mußte innehalten, denn plötzlich fuhr es mir verstörend
durch den Sinn: Täusch’ ich mich, oder glich nicht jener
Fremde ganz genau dem Juden? Und als ich ihn neugierig-kindisch
um seinen Namen fragte, raunte er mit geheimnisvollem
Spott, er heiße Wanderer.
    »Ja . . ., dieser Fremde kündigte eine Vorstellung für Kinder
an. Als wir uns an dem schulfreien Nachmittag ins Klassenzimmer
drängten, da wurde unsre festlich erwartungsfrohe
Stimmung fast enttäuscht.
    Denn auf dem Tisch des Lehrers stand nichts weiter als eine
dreiwandige Bühne wie man sie für Marionetten braucht. Sie
stellte einen Saal dar im Stil des achtzehnten Jahrhunderts,
aber so nüchtern, so armselig, daß selbst unsre jugendliche
Phantasie daraus nichts Rechtes zu erbauen wußte.
    Doch als der Fremde in das Zimmer trat, änderte sich das
Bild mit einem Schlage. Es war, als sei der Raum erfüllt von
unsichtbarem Leben, von tausend Wesen, die nach Erlösung
aus dem Wesenlosen in das Reich des Lichtes riefen.
    Mit seinen nachtschwarzen Augen sah uns der fremde
Mann durchbohrend an, und indes er eine Spieluhr aufzog,
erbat er unsere Aufmerksamkeit.
    Und wie die sanfte, liebliche Musik ertönte, da bedeckten
sich die Wände der kleinen Bühne mit strahlenden Spiegeln,
mit Bildern und mit dunkel leuchtenden Gobelins, und es verbargensich die Fenster hinter purpurnen Damastvorhängen.
Wie ein Bild, das unter einem aufrollenden Vorhang sichtbar
wird, so überhauchte sich die Decke mit einem lächelnden
Olymp von Göttern, Nymphen und von Amoretten. Kristallne
Lüster ragten nieder, und ihre hundert winzig kleinen
Kerzen ließen all diese lichte Pracht in einem holdselig entrückten
Glanz erstrahlen.
    Von draußen, wo gestutzte Taxusgänge dunkelten und unter
Springbrunnen verschnörkelte Bosketts undeutlich schimmerten,
hielt nun eine bunte Menge elfenhaft lieblicher Gestalten
ihren Einzug. Die Herren in gepuderten Perücken,
Jabots und Seidenstrümpfen, die Damen in tief ausgeschnittenen
Krinolinen, mit Schönheitspflästerchen und bandgeschmückten
Schäferstäben. Und alle waren sie keine zwei
Fäuste hoch.
    Nun drehten sich die Paare in anmutig feierlichem Menuett.
Die Atlasschühchen klapperten im Takte, die schönen
Damen rafften ihre Röcke knicksend, die Kavaliere machten
ihre Komplimente, und Reden schwirrten, Fächer spielten,
Blicke flammten — höflich, schelmisch, lächelnd, graziös.
    Wie war das köstlich, wie so wunderlieblich anzusehen, so
daß ich vor Entzücken in die Hände klatschte. Welch reines
Kindesglück! Traumselig wunschlos floß die Zeit dahin, wie
unter Rosenhecken, wie im Kusse.
    Aber ach, nur zu bald war der holde Zauber wiederum entschwunden.
Immer schwächer wurde die Musik, wie Nebelschatten
senkte es sich auf die Bühne; die Bilder, die Gobelins,
die Vorhänge verblaßten, nur durch die kahlen Scheiben
leuchtete ein ferner, düsterroter Feuerschein, und dumpfes
Brausen wurde hörbar wie von einer drohend anrückenden
Menge.

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