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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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Lieber, habt
doch keine Furcht um mich. Furcht hab’ ich selbst vor diesen
unheimlichen Dingern, die unbeseelt sind und doch unermüdlich
tätig und von unmenschlicher Kraft. Nein, nie will ich denen
in die Nähe kommen. Dazu bedarf es gar nicht Eurer
Warnung. Denn es erscheint mir immer lästerlich vermessen,
daß ich die spät errungenen Geheimnisse ferner Geschlechter
schauen soll.«
    Als ich ihn drängte, er möge sich, wennschon nicht das Wesen
der Maschine, so doch wenigstens ein paar Handgriffe erläutern
lassen, um sich vor Gefahr zu schützen, da hielt er sich
die Hände vor die Ohren und wehrte schreckhaft ab.
    So mußte ich gehen. Lange blickte er mir nach mit seinem
strahlend holdseligen Lächeln. —
    Mehr denn je mußte ich heute an Agathe denken.
    Ich kann nicht müde werden, das Unerhörte zu beschreiben,
das ich bei jedem Gange durch die Stadt empfand, undimmer wieder suche ich nach einem Gleichnis. Habt Ihr je
nach vielen Jahren eine Stadt betreten, wo Ihr einst liebtet?
Kennt Ihr die seltsam köstlichen Gefühle, die der wohlvertraute
und doch fremde Anblick aller Dinge weckt? Jugend,
Sehnsucht und Erinnern wird wiederum lebendig, und stets
aufs neue sucht Ihr nach den Zeugen dessen, was Euch teuer
war. Und wenn nun erst Jahrhunderte dazwischenliegen und
wenn es eine fremde Welt ist, die Euch, staunend und bestaunt,
empfängt!
    So suchte auch ich die Stätten der Erinnerung, als ob sie,
unter dem äußern Schein, verborgen, nur auf eine Zauberformel
warteten, um ihr Antlitz zu entschleiern: ein Kaufmannshof,
wo Fässer aufgestapelt liegen und wo’s nach Latwerge
riecht; ein halb zerfallenes Gemäuer, aus dem ein knorriger
Holunderstamm erwächst; eine Hecke, wo das Geisblatt und
der Rotdorn duftet.
    Ich kam zum Marktplatz. Noch nie war mir das Bildhaft-Ferne
dieses Anblicks so aufgefallen wie gerade heute. Ich
finde kein treffenderes Gleichnis als mit einem Film: Wie auf
einer Flimmerleinwand, lebendig deutlich und doch unwirklich,
entrollte sich das Bild. Wie vom Borde eines Schiffes, das
langsam durch die Fluten streicht, sah ich hinab, bis tief im
Meeresgrunde.
    Kirchenkuppeln und Türme sich zeigten,
    Und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt,
    Altertümlich und menschenbelebt.
    Bebend vor Rührung sprach ich die Verse vor mich hin und
achtete nicht der spöttisch mißtrauischen Blicke, die mir
folgten.
    War’s Zufall, oder war es nicht traumschweres Schicksal,
düstre Prophezeiung, daß ich gerade dies Gedicht vor allen
andern liebte, dieses Gedicht von der versunknen Stadt im
Meeresgrunde? Und paßte denn nicht Wort für Wort auf alles,
was ich leibhaftig hier vor mir sah:
    Bedächtige Männer, schwarzbemäntelt,
    Mit weißen Halskrausen und Ehrenketten,
    Und langen Degen und langen Gesichtern,
    Schreiten über den wimmelnden Marktplatz
    Nach dem treppenhohen Rathaus . . .
    Unfern, vor langen Häuserreih’n
    Wandeln seidenrauschende Jungfern,
    Schlanke Leibchen, die Blumengesichter
    Sittsam umschlossen von schwarzen Mützchen
    Und hervorquellendem Goldhaar.
    Bunte Gesellen, in spanischer Tracht,
    Stolzieren vorüber und necken.
    Bejahrte Frauen,
    In braunen, verschollnen Gewändern,
    Gesangbuch und Rosenkranz in der Hand,
    Eilen trippelnden Schrittes
    Nach dem großen Dome,
    Getrieben von Glockengeläute
    Und rauschendem Orgelton.
    Ich folgte meinem Führer, auch ich ging in die Kirche und
fragte mich in ahnungsschwerer Sehnsucht: Alles ist bis jetzt
erfüllt, wie es das Gedicht verkündet. Wird nun auch das
Letzte sich erfüllen? Werde ich dich wiederfinden, dich,
    Du Immergeliebte,
    Du Längstverlorene?
    Ich trat ins Kirchenschiff. Weihrauchduft umfing mich, kühles
Dunkel, geheimnisvoll durchzittert von gedämpftem
Lichte, das sich vielfarbig in den bunten Kirchenfenstern
brach.
    Seit meiner Kindheit hatte ich kein Gotteshaus betreten.
Kinderträume wurden wiederum lebendig, und der längst verschollne
Kinderglaube öffnete mein Herz, ich faltete dieHände, und unter Tränen sprach ich: »Wenn Du wirklich
über Wolken thronst und ein allgütig liebevoller Vater bist,
dann blicke doch auf mich. Sieh, wie ich hier verlassen bin,
verirrt, in tiefster Einsamkeit. Erlöse mich aus der Verirrung,
bewahre mich vor Irrung und führe mich nicht in Versuchung!«
    Und was nun geschah, war’s Täuschung, Zufall, oder war es
eine Antwort? Ein Lichtschein brach durchs Kirchenfenster,
wie eine Feuergarbe, ekstatisch hell, beseligend, wie eine Offenbarung
aus der Höhe des Himmels, und drang bis in

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