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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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Abgrund übersprang. Und wenn die Zeit zu überwinden
ist, dann auch die Wirklichkeit. Denn wenn sich der
entschwundene Augenblick erhaschen, vielfach durchleben
läßt, dann heißt es nicht mehr: Was geschehen ist, das ist geschehen
— dann läßt sich auch die Wirklichkeit vielfach gestalten.«
    Und spöttisch triumphierend leuchtete ich ihm mit der Taschenbatterie
in die entsetzten Augen.
    »Ja, seht sie Euch nur an die beiden Dinger, mit denen ich
die Bresche in das Weltgebäude schlug. Sie sind nicht groß,
aber das tut nichts. Das ist wie bei einem Luftballon. Wenn
der auch noch so groß ist, und ein Loch reißt in die Hülle, ein
winzig kleines Lücklein, dann wird er leer und fällt in sich zusammen.
    Die Weltordnung stürzt zusammen. Was aus ihren Trümmern
wird, weiß ich’s? Ach, auch ich bin solch ein Seefahrer,
der den Wasserwall am Abgrund erstürmt. Kenne ich das
Ufer, wo ich landen werde?
    Aber eines weiß ich: Hier in meinem Haupt, in meinen
Händen trag’ ich die Entscheidung des Jahrhunderts. Denn
wem ich beistehe, der wird siegen.
    Und ich soll müßig bleiben? Weil mich Unheil treffen
könnte? Nein, wenn ich, ausgerüstet mit den Waffen des
zwanzigsten Jahrhunderts, in dieser Zeit hier lebe, so heißt
dies, daß ich dem Fortschritt und der besseren Erkenntnis
Bahn brechen muß, daß ich eine Sendung zu erfüllen habe.
Und daran soll mich keine Furcht und keine Drohung hindern.
Das wäre mir ein schöner Welteroberer, der daheimbleibt,
weil er Angst hat! Nein, gerade dann, wenn ich so
dächte, wie Ihr’s wünscht, wenn ich so feig und kraftlos wäre,
wie Ihr es für gottgefällig haltet, dann würde ich verdienenzu zerschellen, dann geschähe mir schon recht, wenn ich vergehen
würde spurlos, namenlos und heimatlos, ein Popanz,
ein armseliges Gespenst!«
    Düster hallten jene Worte wieder und weckten düsteres
Erinnern. »Namenlos und heimatlos.« Waren das nicht dieselben
Worte, mit denen mir der Jude fluchte? Eisiges Grauen
packte mich.
    Und wie um es zu betäuben, rief ich mit grimmem Spotte:
»Im übrigen wird sich’s ja zeigen, ob mein Unterfangen sinnlos
ist, von Anbeginn verurteilt zum Mißlingen. Denn wenn
alles unabwendbar so kommen muß, wie es die Geschichte
überliefert, dann muß ich scheitern. Nun, ich will die Probe
aufs Exempel machen!«
    So haderte ich weiter mit dem Künftigen, dem Unsichtbaren.
Wie kindisch, wie verblendet! Wie ein Knabe, der oben
im Gebirge an der Quelle eines Stromes steht, den feinen
Strahl des Quells in seinen hohlen Händen spielend auffängt
und nun wähnt, im Tale drunten und in der Ferne, weit in
fremden Ländern, müsse jetzt der Lauf des Stromes stocken
und das Flußbett sei versiegt.
Sechsunddreißigstes Kapitel
    A n einem der nächsten Tage ging ich in die Stadt, um nach
den Arbeiten der Handwerker zu sehen.
    Es war ein strahlend-schöner Tag. In goldnem Glanze lag
vor mir die Landschaft, deren Anblick mich immer wieder an
die Sendung mahnte, die ich zu erfüllen hatte. Sie war der
Fels, in dem die ungebornen Formen schlummern, die des
Künstlers Meißel wecken soll. Mit andächtigen Blicken betrachtete
ich sie, wie ein Liebender, der nach den Zügen seiner
Liebsten in dem Antlitz ihrer Mutter forscht.
    War das heute wirklich ein Sommermorgen des Jahres
1632? Konnte das nicht die Landschaft meiner Jugend sein?Lächelnd, unschuldig, gleichsam zeitlos lag sie vor mir. Nur
weit drunten, auf der Landstraße, fuhr eine vierspännige, altmodische
Reisekutsche, von Reisigen geleitet, und wenn ich
zur Seite blickte, sah ich die Wälle und die Gräben der Stadt.
    Unterwegs im Walde, als ich aufatmend stillstand und das
Sonnenlicht verfolgte, wie es sich oben in den dichtverzweigten
Wipfeln fing, so daß es unten gleich einer goldnen Spinne
über das Moos, die rostig grünen Farben huschte, da fuhr
mir’s plötzlich durch den Sinn, ich müsse gleich zurück und
Konradin vor dem Kraftwerk warnen, damit er nicht an der
gefährlichen Maschine unkundig hantiere und ihm ein Unglück
widerfahre.
    In jagender Angst lief ich zurück. Doch als ich oben ankam,
fand ich ihn wohlbehalten vor der Staffelei. Auf seinem
Antlitz lag solch inbrünstige Sammlung, solch hoheitsvoller
Ernst, daß ich kaum wagte, ihn zu stören. Als er endlich aufsah
und ich zu sprechen begann, strich er mir zärtlich über
meinen Scheitel und sagte: »Und warum seid Ihr ganz außer
Atem zurückgelaufen? Seid Ihr nicht abergläubisch? Wißt Ihr
nicht, daß Umkehr Unglück vorbedeutet? Nein,

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