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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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irrte.
    In Rom ächzten die Studenten unter ihren Studien, die Arbeiter unter der Schinderei, die Familien (vor allem die Frauen) verkümmerten allein zu Hause, während sich die Männer von morgens bis abends auf der Straße oder in den Werkstätten plagten. In Wien aber hatte man soeben begonnen, zu arbeiten oder zu lernen, schon verkündete eine Glocke von irgendwoher, dass es Zeit war, innezuhalten und an einem Jahrmarkt, einer Feier, Messe oder Prozession teilzunehmen. Brachte die Mühsal etwa bessere Ergebnisse? Nicht im Geringsten! In der Wiege des Reiches arbeitete man sehr wenig, doch alles glückte (auch wenn es länger dauerte). In der Stadt der Päpste arbeiteten sich die Menschen zu Tode, aber nichts funktionierte. In Wien gab es für alle genug zu essen, die Familien waren wohlhabend, die Straßen sauber, selten nur gab es Verbrechen, und Freizeit hatte man, so viel man wollte. In Rom hungerten die Menschen, Diebstahl und Mord drohten an jeder Ecke, die Stadt war schmutzig, und man schuftete ohne Unterlass vom Morgengrauen bis zum Abend.
    Als ich unseren wenigen Bekannten damals mitteilte, dass wir nach Wien zögen, hatten sie mich angeschaut wie einen armen Irren: In die Kälte gehst du, zu diesen teutschen Dickschädeln? Nach kaum einem Monat Aufenthalt hatte ich den starken Verdacht, nein, eher die Gewissheit, dass wir Römer die Dickschädel waren.

    «Herr Meister», versetzte Simonis, das innige Loblied unterbrechend, das mir im Herzen tirilierte, «ich habe meinen Studentenfreunden Euer Interesse behufs des pomum aureum avisiert. Auch habe ich mir erlaubt, sie zu einem kurzen Treffen hierher einzuladen, so könnt Ihr selbst erläutern, was Ihr zu wissen wünscht. Danilo Danilowitsch hat mir soeben ein Billett geschickt, dass er um Mitternacht direkt mit uns zusammenkommen will: Vielleicht hat er ja schon Neuigkeiten.»

    Auf dem Rückweg von ihrer Arbeit im Palais kam Cloridia zu uns in das Wirtshaus. Ihr Gesichtsausdruck zeugte von tiefer Verstörung.
    «Oh, mein Gatte, wenn du wüsstest, was mir heute widerfahren ist!», hub sie an, während sie sich setzte und mein Glas Wein in wenigen Zügen leerte.
    Sie lächelte dem Kinde zu, das ihr gegenübersaß und sie beunruhigt anblickte, gab ihm einen Kuss und strich ihm über das Haar. Darauf bat sie Simonis, der schon gegessen hatte, unseren Kleinen ins Kloster zu bringen, damit er pünktlich zur Deutschstunde erscheine; wir würden später nachkommen.
    Cloridia wollte mir etwas Ernstes berichten und fürchtete die Reaktion unseres Söhnchens. Als Simonis und der Junge sich entfernt hatten, erlosch ihr mütterliches Lächeln, und sie nahm meine Hand in die ihren, die von kaltem Schweiße feucht waren.
    «Nun?», fragte ich besorgt.
    «Danken wir dem Himmel, dass mein Dienst im Palais am Montag endet: Prinz Eugen wird dem Aga eine weitere Audienz gewähren, doch dann wird dieser in seine Unterkunft auf der Leopoldinsel zurückkehren. Am Dienstag reist Eugen nach Den Haag ab. Mit der Arbeit endet auch die Bezahlung, aber es ist besser so. Wenn mir noch einmal so etwas passiert wie heute, könnte es böse ausgehen.»
    «Böse ausgehen? So sprich doch, was ist dir geschehen?»
    «Dieses abscheuliche Wesen … jener, der dem Derwisch den Kopf versprach.»
    «Ja und?»
    «Er war wieder im Palais. Zweimal bin ich ihm begegnet. Erst auf der Dienstbotentreppe, in Gesellschaft seiner türkischen Kumpane. Wenn du wüsstest, wie er mich angegafft hat! Endlich habe ich sein Gesicht gesehen, wenn man dieses Gewirr aus Hautfetzen überhaupt so nennen kann. Er hat mich mit seinen blutunterlaufenen Augen angestarrt, und seine grauen, misstrauischen Pupillen haben sich wie Haken in mich gebohrt. Ich bin so schnell ich konnte fortgegangen und hatte doch das Gefühl, er würde mich mit seinem Blick verfolgen. Ich furchte, er ahnt etwas; hoffen wir, dass er beim zweiten Mal nicht bemerkt hat, dass ich ihn heimlich beobachtete.»
    «Warum hast du denn auch hinter ihm herspionieren müssen?», rief ich entsetzt aus, denn mir graute vor dem Gedanken, mein süßes Weib könnte in die Fänge eines Kopfabschneiders geraten.
    Nach der ersten Begegnung mit dem Kapuzenmann betätigte Cloridia sich gerade als Dolmetscherin zwischen dem Majordomus des Agas und einem der Köche des Prinzen, als sie das monströse Subjekt aus dem Augenwinkel wieder hinaufsteigen sah, diesmal über die große Haupttreppe des Palais. Er wäre sicher unbemerkt geblieben, hätte Cloridia nicht

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