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Verkehrt!

Verkehrt!

Titel: Verkehrt! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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gewollt.
    Der Schinken ist zäh, und ich kaue mir einen Wangenmuskelkater. Aber der Geschmack ist unschlagbar. Ein paar Schlücke Milch zwischendurch. Perfekt.
    Im Haus ruft Mutti meinen Namen. Mist. Was will die denn jetzt schon wieder? Ich rappele mich hoch und trotte über den Rasen zur Terrasse, da erscheint sie auch schon.
    – Elizabeth! Du hast dein Frühstück nicht angerührt!
    – Meins?
    Wovon redet die?
    – Du musst was essen vor der Schu… Eliza… beth?
    – Was?
    Ihr Mund klappt auf, ihre ganze Körperhaltung entgleist. Sie guckt mich an, als wäre ich von den Toten auferstanden. Was hat die denn? Habe ich was falsch gemacht?
    – Was ist los?, frage ich.
    – Du …
    – Ja?
    – Isst Fleisch?
    – Schinken! Guter Schinken!
    – Das weiß ich, Parmaschinken! Vom Italiener. Zum Frühstück? Den esse ich ja eigentlich immer mit Rucola auf Pizza. Das wollte ich heute machen. Seit wann isst du wieder Fleisch?
    – Schätze seit eben.
    – Was hat dich denn dazu bewogen?
    – Der Pammer Schinken.
    – Par…ma.
    Und weil sie denkt, ich habe wohl was an den Ohren, sagt sie es gleich noch mal, sie rollt das r, – Parma!
    – Pammer, sage ich, einzig um ihre Schnute dabei noch mal zu sehen.
    – Parrrma!
    – Parma, wiederhole ich italienisch betont.
    – Nur das Beste für meine Kleine. Übertreib es aber nicht gleich mit dem Fleisch. Dein Verdauungssystem muss sich erst wieder dran gewöhnen.
    – Ich habe mein Verdauungssystem ganz gut unter Kontrolle.
    Zum Beweis drücke ich einen Furz raus. Ralf läge unter dem Boden. Mutti legt nur den Kopf schief.
    – ’tschuldigung, sage ich.
    – Bis du gestern nicht doch zu hart vom Pferd gefallen?
    – Nein.
    – Sollen wir nicht noch mal zum Arzt?
    – Nein.
    – Was macht die Stelle am Hals?
    – Nix, ist gut.
    – Wer weiß. Vielleicht wurde dir ja die Sauerstoffzufuhr abgeschnürt und …
    – Nein. Es reicht übrigens, wenn du Sachen nur einmal sagst. Ich hab weder was an den Ohren noch an der Waffel. Auch wenn du es mit anderen Worten wiederholst, ändert sich nichts. Mir ist nichts weiter passiert. Alles gut, alles bestens. Kann ich jetzt zu Ende essen?
    Ihr Blick schweift zur Tür, – Jetzt habe ich das Müsli umsonst gemacht.
    – Ich dachte … ich meine, das kannst du doch essen.
    – Ich esse doch nicht zweimal.
    Und ich sehe ihr an, dass sie wieder nachhaken will. Ich tue beschäftigt, stopfe mir den letzten Bissen tollen Parmaschinken in den Mund und spüle mit dem Rest Milch nach.
    Sie wirft einen raschen Blick auf ihre Designeruhr am Handgelenk, – Wir müssen los. Angezogen bist du auch noch nicht.
    – Wie? Angezogen bin ich auch noch nicht?
    Wortlos zeigt sie mit ausgestrecktem Arm an mir rauf und runter, – Willst du in den Garten oder in die Schule?
    – Hab ich echt die Wahl?
    – Nein! Aber du bist ungeschminkt und angezogen wie …
    Sie lächelt kurz und wirft sich mir um den Hals. Sie erdrückt mich fast. Ihr aufdringliches Parfüm raubt mir den Rest Atem, den ihre fleischige Schulter zulässt. Sie hört gar nicht mehr auf, rubbelt meinen Rücken mit beiden Händen. Ich klopfe ihr auf den Rücken. Bei Griechisch-Römisch bedeutet das auf der Matte, dass man sich geschlagen gibt. Der gewinnende Ringer hört dann mit seinem wirbelbrechenden Würgegriff auf. Mutti nicht.

34

    Vor der Hecke bleibe ich stehen und schaue mich um. Dann schiebe ich mich durch das Gestrüpp und schleiche über den ausgetrockneten Boden auf den Bahndamm zu.
    Vorsichtig drücke ich Sträucher und kleine Bäume zur Seite und folge dem kleinen Trampelpfad, den Frank erwähnt hatte.
    Ich bin noch nie einen Bahndamm hochmarschiert.
    Oben angekommen, stehe ich vor den Schienen. Das habe ich auch noch nie getan, Schienen einfach so überquert, ohne Schranke, ohne Übergang. Mein Herz schlägt, als ob ich etwas Verbotenes tue. Gut, es ist verboten, aber ich stehle nichts oder verletze jemanden, nicht so verboten.
    Die großen Steine im Gleisbett knirschen unter meinen Sohlen. Leise zischen die Schienen. Ein leises, hohes Hissen. Ich bücke mich zwischen den Gleisen zu einer dunkelbraunen Bahnschwelle runter und beschaue mir das glänzende Metall von nahem. Oben sind sie spiegelblank, abgefahren von den stählernen Rädern zahlloser Waggons und Lokomotiven. An den Seiten sind sie rostig braun, ein krasser Kontrast. Wird das Hissen lauter, oder bilde ich mir das nur ein? Die Indianer haben immer ihre Ohren auf die Schienen

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