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Verkehrt!

Verkehrt!

Titel: Verkehrt! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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gelegt. Mal sehen, was ich dann höre. Ich knie mich auf das Holz der Bahnschwelle und lege den Kopf auf das Gleis. Die Bolzen neben mir erscheinen riesengroß, die heiße Luft flimmert über der Strecke.
    Ja, das Zischen wird lauter, ich spüre die Vibra…
    Plötzlich bricht aus dem Unterholz auf der anderen Seite ein Wahnsinniger im Lodenmantel und springt brüllend mit beiden Armen ausgebreitet auf mich zu.
    – Jungeeeee!
    Ich schnelle hoch, da hat er mich schon gepackt und reißt mich an sich. Ich pralle gegen seinen massigen Körper, spüre seinen schmuddeligen Bart in meinem Gesicht, und ohne dass ich mich wehren kann, schmeißt er mich auf den Boden und wirft sich auf mich. Mir bleibt die Luft weg. Ich rieche nur seinen Alte-Männer-Schweißgestank.
    Mutti!
    – Hilfe …
    Da donnert ein Zug keine Armlänge entfernt an uns vorbei. Mir bleibt vor Überraschung und der spürbaren Gewalt des Zuges die Luft weg.
    Wir schweigen. Der Mann hat die Augen geschlossen und hält mich fest. Ich zerre. Keine Chance.
    Endlos poltern die Räder der Güterwaggons über die Schienennähte. Hat er mir das Leben gerettet?
    Der Fahrtwind weht seine ungepflegten langen Haare durcheinander. Der Bart bebt, als hätte er ein Eigenleben.
    Mit dem letzten Kesselwagen verschwinden das Getöse und der Wind.
    Stille.
    Sein schwerer Atem.
    Der Gestank nach Alkohol und altem Männerschweiß hüllt mich ein. Tränen schießen mir in die Augen, eigentlich weiß ich gar nicht genau, warum, und dann doch irgendwie schon, so viele Gründe.
    Der Mann öffnet seine Augen, gleichzeitig verzerrt sich sein Gesicht vor Wut, und er brüllt los, – Junge! Junge!! Bist du …? Was soll das? Was soll das denn bloß? Was machst du denn? Du lieber Himmel.
    Er rappelt sich hoch, korrigiert immer wieder seinen Halt, – Du kannst doch nicht …
    Er zeigt abwechselnd auf die Schienen und auf mich, zwischendurch streicht er sich über sein strubbeliges Haar.
    – Verrückt, Himmel. Was ist mit dir? Was ist bloß los mit dir?
    Ich klebe am Boden, als würde sich der Schotter an meinem Rücken festkrallen. Ich komme einfach nicht hoch. Tränen rinnen aus meinen Augen.
    – Heulst du? Jetzt heult er. Jetzt heult er!, er klatscht sich auf die Schenkel, – Bist du depressiv?
    – Nein, sage ich erstickt.
    – Unglücklich verliebt?
    – Nein.
    – Was dann?
    – Nichts.
    Ich stütze mich auf meine Ellbogen.
    – Du willst mir erzählen, du hast wegen nichts den Kopf auf die Schienen gelegt?
    Dieser Mann hat mir mein Leben gerettet, meins und Franks. Seine Brust hebt und senkt sich, er atmet mit offenem Mund, die Arme hat er leicht abgewinkelt, seine Finger bewegen sich sinnlos.
    Ich reiße mich zusammen, um mich jetzt bloß nicht mit den Namen zu vertun, und sage, – Ich heiße Frank.
    Seine Haltung erschlafft, er legt den Kopf schief und blinzelt mich an, als hätte er einen Traum, – Frank. Jungejunge.
    – Und Sie?
    – Bin ich zu hart auf dir gelandet?
    – Wieso? Wer sind Sie?
    Oder kennt er mich?
    – Ich bin’s, Pernod! Mach keinen Scheiß. Brummt dir der Schädel oder so?
    Nein, tut er nicht. Ich muss etwas Falsches gesagt haben. Ich schüttele den Kopf.
    – Junge, ich bin alt, und du bist jung, und ich habe in meinem Leben schon viele Menschen gekannt, die mich auf einmal nicht mehr kennen wollten. Ich habe damit kein Problem, auch wenn es schade wäre, wenn du mich nicht mehr grüßen würdest. Aber du musst nicht so tun, als ob du mich noch nie getroffen hättest. Das geht zu weit. Ich finde, vor allem nachdem ich dein kleines Spatzenhirn vor ein paar tausend Tonnen Stahl gerettet habe. Dankbarkeit ist wirklich selten geworden. Sei wenigstens ehrlich, du hast auf mich immer einen aufrichtigen Eindruck gemacht. Sag einfach: Pernod, ich möchte nicht mehr, dass wir miteinander reden. Das kann ich verstehen. Hat Harry dir es verboten?
    – Nein.
    Er kennt Harry, also kennt er Frank. Was kennt Frank nur für Gestalten? Pernod und er müssen sich getroffen haben, der kennt sogar Harry mit Namen.
    Ich stehe auf, – Nein, ich … ich war nur … das war knapp eben, geht schon wieder. Natürlich will ich Sie … dich … weiter … kennen. Harry hat nichts verboten.
    – Prima.
    – Ja.
    Ich weiche ein paar Schritte von dem Gleis zurück.
    – Warum? Warum hast du das getan?, fragt er in einem ruhigen Ton, kniet sich vor mir hin und legt eine Hand auf meine Schulter.
    – Ich … habe nicht

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