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Verkehrt!

Verkehrt!

Titel: Verkehrt! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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fest, mit meinen Füßen stütze ich mich auf dem Boden ab, um nicht nach außen zu rutschen, zu ihm.
    – Freistunde.
    – Das sind die besten.
    Und dann schwingt er sich entgegen den Fliehkräften neben mich.
    Ich stemme meine Füße stärker gegen den Boden. Die beiden Bodenwellen lassen mich jedes Mal von der Sitzbank abheben. Ohne die Stange über meinem Schoß würde ich quer über den Marktplatz fliegen. Ich halte den Kopf schief, damit meine langen Haare mir nicht ins Gesicht wehen.
    Er ahmt die Geste nach, legt auch seinen Kopf schief, – Wie alt bist du?
    Ach du Scheiße, – Sechsundsiebzig.
    Er lacht, – Sag mal. Achtzehn?
    – Und geliftet.
    Der Typ streckt seinen Arm auf der Rückenlehne aus, sein Daumen berührt meine Schulter. Ich zucke zurück, was wegen der Fliehkraft nicht leicht ist.
    Wenn ich in meinem eigenen Körper stecken würde, würde ich ihm eine knallen. Dann hätte ich eine Chance, aber so sage ich, – Lass deine Finger bei dir.
    – Tu ich doch.
    Er stupst mich an, grinst dabei blöde.
    – Hey, noch einmal, und ich mach mir die Hose auf, schrei um Hilfe und nach der Polizei, und du bist dran wegen irgendwas mit Minderjährigen. Ich bin fünfzehn, klar.
    Er spuckt auf den Boden, aalt sich geschmeidig in den Stand und springt bei einer wahnsinnigen Geschwindigkeit ab. Die SNAKE dreht sich so schnell, dass ich ihn nicht mehr sehe, und weil sie nicht sofort gestoppt wird, gehe ich davon aus, dass der Arsch überlebt hat.
    Da setzt der Turbo ein, und ich klammere mich an die Innenwand des Waggons, während meine Füße da sind, wo er eben saß. Das war knapp.
    Irgendwann wird abgebremst. Ich steige aus und schenke meine Chips einem Pärchen auf dem Weg zur Kasse.
    Toll war das nicht. Ist das immer so? Dann werde ich mir die Haare schneiden lassen und ein Baseballcap tragen.
    Riesenrad. Super. Da wird sich niemand außen dranhängen.

44

    Ich gehe die Seitenstraße entlang auf der Suche nach einem stillen Platz, wo ich telefonieren kann. Mein Handy halte ich in der Hand. Die Nummer der Helpline habe ich gespeichert. Sie hing schief und vergilbt an einer Bushalte. Ich werde bei denen einfach mal anrufen. Das habe ich noch nie. Was habe ich zu verlieren?
    Da ist eine freie Bank auf der Grünfläche an der Ecke. Der Platz der Synagoge. Ein Mahnmal erinnert daran. Auf dem großen Gedenkstein liegen kleine Steine, manche gehäuft.
    Büsche zieren das Grundstück, ein schmaler Gehweg diagonal, mit einer Bank. Ich setze mich und wähle. Freizeichen.
    Eine Frau nimmt das Gespräch an, – Hallo, hier ist ForYou, die Helpline für Jugendliche in Extremsituationen, Steffi am Apparat.
    Steffi ist jung.
    – Hallo? Ist da jemand dran?, fragt sie.
    – Ja.
    Muss ich eigentlich meinen Namen sagen?
    – Wie geht es dir?
    – Es ging schon mal besser, sonst würde ich nicht anrufen.
    – Was hast du …
    Sie wartet, dass ich ihr meinen Namen sage.
    – Muss ich meinen Namen sagen?
    – Nein, hier musst du gar nichts. Es ist nur einfacher, wenn man miteinander spricht. Dein Vorname reicht.
    – El… Frank.
    – Genau, ein falscher Name ist auch okay, absolut okay.
    Ich seufze.
    – Warum rufst du an, Frank?
    Jetzt nennt sie mich Frank. Selbst schuld. Ich hätte wirklich einen anderen Namen sagen sollen.
    – Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.
    – Dann fang einfach irgendwo an, Frank.
    Ich ziehe die Beine an und stelle meine Füße auf die Sitzfläche der Bank. Meinen Kopf lege ich in den Nacken. Schwalben ziehen kreischend ihre Bahnen in dem blauen Himmel.
    – Frank?
    – Was ich Ihnen erzählen möchte, wird für Sie unglaublich klingen.
    – Deswegen sind wir da. Du kannst mich aber duzen, Steffi heiß ich.
    – Es ist wirklich unglaublich.
    – Manchmal erscheinen uns Situationen unfassbar. Aber wenn man mit einem anderen Menschen darüber redet, der vielleicht auch mehr Lebenserfahrung hat, dann tun sich schnell Lösungswege auf.
    – Ich bin nicht Frank. Ich stecke nur in seinem Körper.
    – Das Phänomen von Außerirdischen, die von einem Besitz ergriffen …
    – Nein, nein, ich bin ein Mädchen, ich heiße Elizabeth.
    Es hört sich so an, als würde Steffi erleichtert durchatmen,  – Ach so. Darf ich fragen, wie alt du bist?
    – Fünfzehn.
    – Das ist ziemlich normal, Frank. In deinem Alter bist du in deiner Entwicklung an einem Punkt angelangt, wo man schon mal sehr durcheinander sein kann.
    – Ich bin nicht durcheinander, ich weiß genau, wer ich

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