Verlangen unter falschem Namen
aktuellen Tageszeitungen und ging dann zu ihrem Apartment. Auf halbem Weg öffnete sich der Himmel, und in Sekundenschnelle war sie bis auf die Haut durchnässt. Das irische Wetter schlug wieder einmal seine Kapriolen. Ein Pärchen rannte lachend an ihr vorbei, und die Frau suchte Schutz unter dem Regenmantel ihres Freunds. Dabei überfiel Cara das Gefühl, als hätte man ihr etwas unendlich Wertvolles und Zerbrechliches entrissen: ihre Zuversicht, dass auch sie eines Tages das Glück in der Liebe finden würde. Für einen winzigen Moment, bevor Vicenzo Valentini sich ihr offenbart hatte, hatte sie zumindest einmal davon kosten dürfen. Doch dann hatte er all ihre Träume zerstört, und dafür hasste sie ihn so sehr, dass es ihr richtig Angst machte.
Sie atmete tief durch und stieß die Haustür zu ihrem Wohnhaus auf.
Im Badezimmer zog sie sich erst einmal die nassen Sachen aus und spürte, wie erschöpft sie schon wieder war. Automatisch legte sie die Hände auf den Bauch. Sie blickte nach unten, und Tränen traten ihr in die Augen. Nach Cormacs Tod hatte Cara naiverweise angenommen, sie könne einen Neuanfang machen, ihr eigenes Leben leben. Aber das Schicksal hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie hob das Kinn und wischte sich die Tränen weg.
Sie musste etwas essen, besser auf sich aufpassen und einen Job finden. Irgendwie würde sie für sich und dieses Kind sorgen. Dass sie trotz der Umstände, unter denen es empfangen worden war, sofort eine innige Liebe für das kleine Wesen entwickelt hatte und wild entschlossen war, es zu beschützen, erstaunte Cara.
Sie ging in die Küche und wärmte sich ein bisschen Eintopf vom Vor tag auf – mehr ließ ihre Haushaltskasse nicht zu. Als sie sich hinsetzte, fiel ihr Blick wieder auf den Brief, den sie am Morgen nur rasch überflogen hatte. Panik ergriff sie und drohte ihr den Appetit zu verderben. Sie konnte sich jetzt nicht damit befassen. Sie musste essen. Aber die Bedrohung, die von den schwarzen Zeilen ausging, blieb. Cara zwang sich, nicht daran zu denken und etwas zu sich zu nehmen. Danach sah sie die Stellenanzeigen der Zeitungen durch.
Eine Stunde später schlug sie die letzte auf und glaubte nicht, dass sie noch eine interessante Anzeige finden würde. Nur halbherzig blätterte sie durch die Seiten und unterdrückte ein Gähnen. Der Rücken tat ihr weh, und sie sehnte sich nach ihrem Bett. Aber plötzlich sprang sie regelrecht vom Stuhl. Ihr Herz schlug wie wild. Es hatte prompt reagiert, als sie Vicenzo Valentinis Foto in der Zeitung entdeckte. Nach wie vor konnte sie den Blick nicht von ihm lösen. Er heftete sich geradezu auf seine markanten Züge. Ein Lächeln ließ ihn etwas weicher wirken, und er sah noch umwerfender aus als sonst. Auf dem Foto wirkte er glücklich und zufrieden – als hätte er keine Sorgen.
Welches Recht hatte er, sorgenfrei in den Tag hineinzuleben, während sie quasi am Hungertuch nagte und sein Kind unter dem Herzen trug? Unbewusst wanderte ihre Hand auf den immer noch flachen Bauch. Sie schloss die Augen, und einmal mehr wurde ihr ihre missliche Lage bewusst. Natürlich war sie immer noch entsetzt über die Methoden ihres Bruders – womöglich hätte er sein Vorhaben tatsächlich zu Ende gebracht und Allegra verlassen. Denn, der einzige Mensch, den ihr Bruder jemals geliebt hatte, war er selbst gewesen.
Wieder blickte sie auf Vicenzos lächelndes Gesicht. Am kommenden Abend wurde er in Dublin erwartet, wo er anlässlich der Neueröffnung seines Coffeeshops einen Empfang gab. Man hätte fast meinen können, dass er das absichtlich tat, um sie zu ärgern. Aber Cara wusste auch, dass es Unsinn war, so etwas zu denken. Eine derartige Neueröffnung wurde Monate, manchmal Jahre, im Voraus geplant. Dass er gerade jetzt eine neue Niederlassung in Dublin einweihte, war nur ein dummer Zufall.
Trotzdem fühlte sie sich dadurch provoziert. Sie wusste, dass sie etwas tun musste, solange er in der Stadt war. Sie wollte ihn unbedingt sprechen und ihm klarmachen, dass er sich unmöglich benommen hatte. Außerdem war er auch verantwortlich für das neue Leben, das in ihr heranwuchs. Und dann war da noch etwas, das sie zu einer Gegenüberstellung mit ihm drängte …
Vicenzo Valentini unterdrückte den Wunsch, sich die Fliege vom Hals zu reißen und den obersten Hemdknopf zu öffnen. Am liebsten hätte er den zum Bersten gefüllten Ballsaal so schnell wie möglich verlassen, um nach Sardinien zurückzukehren.
Was war denn
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