Verlangen
dein Gefährte für nächtliche Abenteuer. Du kannst mir Dinge erzählen, die du niemandem sonst erzählen würdest.«
»Lucas, bitte, dräng mich nicht so.«
Er zog sie an sich und preßte ihr Gesicht an sein Hemd. Ihr bernsteinfarbener Umhang wehte um seine Beine. »Sag es mir, Vicky.«
Sie versteifte sich. »Du verstehst das nicht.«
»Vertraue mir.«
»Lucas, er ist tot.«
Lucas runzelte die Stirn angesichts der Verzweiflung, die sich hinter dieser schlichten Aussage verbarg. Er überdachte die Informationen, die ihm Jessica Atherton hatte zukommen lassen, bevor er begonnen hatte, seine reiche Erbin zu umwerben. Innerhalb weniger Sekunden hatte er den Namen: Samuel Whitlock. »Sprechen wir zufällig von deinem Stiefvater?« fragte er freundlich.
Sie warf den Kopf zurück und versuchte sichtlich, sich zusammenzunehmen. »Ich sagte ja, es ist unmöglich. Er ist tot und begraben.«
»Aber du mochtest ihn nicht besonders, nicht wahr?«
Ihre Augen glitzerten im Mondlicht. »Ich haßte ihn für das, was er meiner Mutter angetan hatte und für das, was er mir angetan hätte, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte. Meine Mutter hat mich vor dem lüsternen Bastard beschützt, indem sie mich zu meiner Tante geschickt hat. Aber sie konnte sich selbst nicht schützen. Am Ende hat er sie umgebracht.«
13
»Du denkst, dein Stiefvater habe deine Mutter getötet?« Lucas’ Stimme war erstaunlich ruhig, dachte Victoria. Er sprach in dem Ton, in dem er sie für gewöhnlich vor dem Dinner fragte, ob sie ein Glas Sherry möchte. Während er sprach, legte er einen Arm um ihre Schulter und begann, weiterzugehen.
»Ja. Ja, das denke ich, obwohl ich das nie jemandem erzählt habe außer meiner Tante.« Victoria spürte das Gewicht seines Armes und fühlte sich seltsam sicher. Er war so stark, dachte sie flüchtig. So beruhigend stark.
Sie war sich nicht sicher, weshalb Lucas’ Arm um ihre Schulter eine solche Wirkung auf sie hatte, aber das war ihr im Moment auch egal. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, sorgfältig zu überlegen, was sie als nächstes sagen sollte, denn sie hatte bereits wesentlich mehr offenbart, als sie wollte.
»Was hält deine Tante davon?«
Victoria umklammerte ihren Umhang. »Daß es durchaus möglich ist. Sie kennt diese Art von Männern. Ein roher Trunkenbold, der nicht einen Funken Anstand besaß. Sie hat gesagt, wenn er sie umgebracht hat, wäre es interessant zu erfahren, weshalb er so viele Jahre damit gewartet hat. Warum hat er die Sache nicht einfach sofort nach der Hochzeit erledigt, als er endlich Zugang zu ihrem Vermögen hatte?«
»Vielleicht gab es anfangs keinen Grund für ihn, sie zu töten«, sagte Lucas nachdenklich, als würde er im Geiste ein Puzzle zusammensetzen. »Wie du sagst, hatte er ja schließlich Zugang zu ihrem Geld. Weshalb sollte er dann das Risiko eingehen, eventuell wegen Mordes am Galgen zu landen?«
Victoria seufzte. »Das hat Tante Cleo auch gesagt. Meine Mutter hat nicht nur mich zu ihr geschickt, sie selbst kam auch häufig für Wochen oder gar Monate nach London. Nachdem sie gemerkt hatte, was für einen Mann sie geheiratet hatte, ver-brachte sie so wenig Zeit wie möglich an seiner Seite. Wenn er betrunken war, wurde er gewalttätig.«
»Mit anderen Worten, sie hat ihm nicht nur ihr Geld gegeben, sondern ging ihm auch noch so gut wie möglich aus dem Weg. Weshalb sollte er sie dann nach all den Jahren umbringen?« fragte Lucas.
»Vielleicht war er sie einfach leid«, sagte Victoria angespannt. »Vielleicht war er eines Tages besonders böse auf sie und geriet in Wut. Er war entsetzlich jähzornig. Wenn er wütend wurde, verlor er jegliche Kontrolle über sich. Er tobte dann wie ein Verrückter.«
»Kam deine Mutter nicht bei einem Reitunfall ums Leben?«
»Ja. In der Nähe seines Landsitzes. Sie war dorthin gefahren, um seine Freunde über das Wochenende zu bewirten. Vorher war sie wie gewöhnlich mehrere Wochen bei Tante Cleo und mir gewesen, aber Whitlock befahl ihr, für einige Tage zurückzukommen und ihre Pflicht als Ehefrau zu erfüllen, wie er es nannte. Meine Mutter war sehr schön und sehr charmant. Eine hervorragende Gastgeberin, und Whitlock benutzte sie oft, um bei seinen Freunden Eindruck zu schinden«, erklärte Victoria.
»Ein Reitunfall klingt mehr wie ein geplanter Mord, nicht wie einer, der in einem Anfall von Wut begangen wird.«
Victoria zuckte die Schultern. »Vielleicht hast du recht. Ich weiß nur, daß er es getan
Weitere Kostenlose Bücher