Verlangen
war, neigte seinen fast kahlen Kopf über Victorias Hand.
»Es ist äußerst freundlich von Ihnen beiden, uns mit diesem Empfang zu ehren«, zwang sich Victoria zu sagen.
»Sie sehen wundervoll aus, meine Liebe«, sagte Jessica zu Victoria. »Das Kleid ist einfach herrlich. Und so ein außergewöhnlicher Stil für eine junge Braut. Aber schließlich hatten Sie ja schon immer einen Sinn für das Extravagante, nicht wahr?«
»Ich tue mein möglichstes«, versicherte ihr Victoria. »Schließlich will ich ja meinen Gatten nicht langweilen.«
Lucas warf ihr einen warnenden Blick zu. Sein Lächeln war von bedrohlichem Charme. »Unter Langeweile habe ich seit dem Abend, an dem ich dich kennengelernt habe, meine Liebe, gewiß nicht mehr gelitten.«
Lord Atherton lächelte kurz. »Und wie ich hörte, haben Sie sich in eben diesem Ballsaal zum ersten Mal getroffen, nicht wahr?«
»Lady Atherton war so freundlich, uns einander vorzustellen«, erwiderte Victoria höflich.
»Das wurde mir berichtet.« Lord Atherton bot ihr seinen Arm. »Wären Sie wohl so freundlich, mir die Ehre des ersten Tanzes zu erweisen, Madam?«
»Es wäre mir ein Vergnügen.«
Während sie auf die Tanzfläche geführt wurde, warf Victoria einen Blick zurück. Lucas warf ihr über die Köpfe der Leute, die sich um ihn gedrängt hatten, ein schwaches Lächeln zu, ein Lächeln voller Besitzerstolz, Bewunderung und sinnlichen Versprechungen; das Lächeln eines Liebhabers.
Erwärmt von diesem Lächeln wandte Victoria ihre Aufmerksamkeit wieder Lord Atherton zu, der bereits angefangen hatte, über Politik zu sprechen.
Während des Festes hielt Lucas ein Auge auf seine Bernsteinlady, doch er hatte nur sehr selten die Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Auch gut, sagte er sich. Wenn er ihr zu nahe käme, würde er wahrscheinlich wieder auf das Kleid zu sprechen kommen, und da die Tat sowieso nicht ungeschehen gemacht werden konnte, wäre es sinnlos, den Streit fortzuführen.
Ein Ehemann mußte lernen, welche Schlachten wichtig waren, und der Militärstratege in ihm verstand Victorias Bedürfnis, heute abend vor Jessica Atherton groß herauszukommen.
Trotzdem würde er in Zukunft wesentlich besser auf ihre Kleidung achten. Das schwor er sich, während er beobachtete, wie seine Frau erneut auf das Parkett geführt wurde.
»Deine Frau wird heute abend von meinen männlichen Gästen regelrecht umschwärmt«, murmelte Jessica, als sie neben Lucas glitt. »Es freut mich, daß sie sich zu amüsieren scheint.«
»Sie hat es verdient, sich zu amüsieren.«
»Ja. Es war gewiß nicht leicht für sie, heute abend hierher zu kommen.«
Lucas hob eine Braue ob dieser unerwarteten Einsicht. »Nein, das war es wirklich nicht.«
»Ich weiß, all das, was bei eurer Hochzeit passiert ist, muß sie ziemlich mitgenommen haben. Und ich habe die Sache gewiß nicht besser gemacht, indem ich am Morgen eurer Abreise nach Yorkshire bei ihr aufgetaucht bin. Es tut mir leid, Lucas. Ich hoffe, du verzeihst mir. Meine einzige Entschuldigung ist, daß ich unbedingt wissen mußte, ob du mit ihr glücklich sein würdest«, sagte Jessica schwach.
»Vergiß es, Jessica. Es gehört der Vergangenheit an.«
»Ja, du hast vollkommen recht. Es ist nur, daß ich weiß, daß du an dem Tag böse auf mich warst, und ich will wohl einfach herausfinden, ob du mir vergeben hast.«
»Wie gesagt, es ist vorbei. Mach dir darüber keine Gedanken mehr. Victoria und ich sind mit dieser Ehe zufrieden.«
Jessica nickte. »Ich dachte mir, daß es so kommen würde. Schließlich ist sie eine intelligente Frau. Vielleicht legt sie zeitweise ein recht unziemliches Verhalten an den Tag, doch sie ist eine ehrenwerte und integre Person. Andernfalls hätte ich sie dir gewiß nicht vorgestellt. Ich war sicher, daß sie lernen würde, ihr Schicksal zu akzeptieren und ihre Pflicht zu erfüllen, ebenso wie du es tun mußt.«
Lucas bemerkte, daß er begann, mit den Zähnen zu knirschen. Er griff nach einem Glas Champagner und nahm einen tiefen Schluck. »Sag mir, Jessica, hast du schon viel Freude an deiner Ehe gehabt?«
»Atherton ist ein akzeptabler Ehemann. Das ist alles, was eine Frau von der Ehe erwarten kann. Es macht mich zufrieden, wenn ich weiß, daß ich ihm eine gute Ehefrau bin. Man tut schließlich, was man tun muß.«
Ein akzeptabler Ehemann. So hatte Victoria ihn ein- oder zweimal genannt, überlegte er. Plötzlich spürte er leichten Zorn in sich aufsteigen. War das alles, was er für sie war?
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