Verlangen
seltsam auf den Rücken gedreht war. Der junge Mann sah nicht gerade glücklich aus, als er Lucas voran auf die Straße hinaustrat.
Victoria erhaschte Lucas’ befehlenden Blick und folgte den beiden Männern in diskretem Abstand. Draußen konnte sie deutlich hören, wie Ferdie Merivale sich mit lauter, undeutlicher Stimme beschwerte.
»Verdammt, Stonevale, das können Sie nicht machen. Meine Pechsträhne war gerade zu Ende. Nur noch ein paar Runden, und ich hätte den Mann in der Tasche gehabt.«
»Noch ein paar Runden, und Sie wären gezwungen gewesen, morgen die Stadt zu verlassen und bis ans Ende Ihrer Tage auf dem Land zu verrotten. Das würde Ihnen nicht gefallen, Merivale. Sie sind ein Stadtmensch. Wieviel haben Sie an Duddingstone verloren?«
Ferdie murmelte etwas Undeutliches, und Lucas schüttelte grimmig den Kopf. »Ich weiß, Sie schätzen mein Verhalten im Moment nicht besonders, Merivale. Mir gefällt es auch nicht besonders, aber wir haben keine andere Wahl. Vielleicht sind Sie mir morgen ja dankbar.« Lucas winkte eine vorbeifahrende Kutsche heran.
»Zum Teufel, Stonevale, ich will nicht gerettet werden. Ich habe das Spiel im Griff«, sagte Ferdie mit weinerlicher Stimme.
»Tun Sie uns beiden einen Gefallen. Wenn Sie das nächste Mal Ihre Erbschaft zum Fenster hinauswerfen möchten, tun Sie das an einem Ort, wo ich nicht bin. Sie waren für mich heute abend ein größeres Ärgernis, als Sie denken.« Lucas hievte den jungen Mann in die Kutsche und nannte dem Kutscher die Adresse.
Die Kutsche setzte sich schwankend in Bewegung, und Lucas machte einen Schritt zurück. Er sah sich nach Victoria um.
»Zufrieden?«
»Das haben Sie ausgezeichnet gemacht, Graf.« Victoria lachte vor Erleichterung und Stolz und trat auf die Straße. »Ich versichere Ihnen, ich bin Ihnen ewiglich dankbar, auch wenn Ferdie es nicht ist.«
Sie sah, wie er den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, bemerkte die überraschende Veränderung seines Gesichtsausdrucks, als er über sie hinweg sah, und dann hörte sie das
Geklapper von Pferdehufen und das Rattern von Kutschenrädern.
Die Räder klangen viel zu nah. Victoria drehte sich um und sah, wie eine schwarze Kutsche, die von zwei schwarzen Pferden gezogen wurde, auf sie zugerast kam.
In diesem Augenblick erschien der rettende Bürgersteig Kilometer entfernt, und der Schrei, der sich in ihrem Hals formte, ging im Getrampel der Hufe und dem Knirschen der Räder unter.
Dann wurde sie von etwas Schwerem getroffen und auf den Straßenrand geworfen. Sie lag ausgestreckt unter Lucas, als Hufe und Räder nur wenige Zentimeter an ihrem Fuß vorbeirasten.
6
»Zweifelsohne so ein betrunkener Kerl, der seine erbärmlichen Fahrkünste zeigen mußte«, sagte Victoria.
»Zweifelsohne.«
Sie versuchte, Lucas’ Gesicht in der Dunkelheit der Kutsche zu erkennen. Der Unfall erschütterte sie immer noch, doch zugleich sprühte sie vor Aufregung angesichts der Erlebnisse. Ihre Hauptsorge galt nun ihrem Gegenüber.
Lucas hatte kaum ein Wort gesprochen, seit er ihr vom Gehweg in eine Kutsche geholfen hatte. Sie spürte seine Verärgerung. Abwesend rieb er sein Bein, und sie fragte sich, ob er es bei ihrer Rettung verletzt hatte.
»Sie haben sehr schnell reagiert, Lucas. Ich versichere Ihnen, die Kutsche hätte mich glatt überrollt, wenn Sie nicht gewesen wären.«
Nichts.
»Schmerzt Ihr Bein sehr?«
»Ich werde es überleben.«
Victoria seufzte. »Es ist alles meine Schuld, nicht wahr? Hätte ich nicht darauf bestanden, heute nacht eine Spielhölle zu besuchen, hätten Sie nicht Ihr Bein verletzt.«
»Das ist sicher eine Art, die Dinge zu betrachten«, sagte Lucas.
»Es tut mir so leid, Lucas.«
»Es tut Ihnen leid?«
»Nun, nicht, daß wir in Das Grüne Schwein gegangen sind«, gab sie ehrlich zu. »Schließlich habe ich mich dort prächtig amüsiert. Doch es tut mir entsetzlich leid, daß Sie Ihr Bein verletzt haben.« Spontan setzte sie sich neben ihn. »Hier, lassen Sie es mich massieren. Sie müssen wissen, bei Pferden kann ich das ganz gut.«
»Ist das eine Empfehlung?«
Der unfreiwillige Humor in seiner Stimme ließ sie erleichtert lächeln. »Selbstverständlich. Man muß doch wissen, wie man ein temperamentvolles Tier nach einem anstrengenden Ritt beruhigen kann.«
»Eigentlich hätten wohl eher Sie bei der Sache zu Schaden kommen müssen. Schließlich lagen Sie auf dem Boden. Sind Sie sicher, daß Ihnen nichts fehlt?«
»Oh, mir geht es gut. Einer der Vorzüge
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