Verlangen
wußte, daß etwas seltsam war an Lady Athertons Besuch heute morgen. Was in aller Welt hat sie gesagt, was dich so erregt hat?«
»Wußtest du, daß Lucas einst um ihre Hand angehalten hat?«
»Nein, aber ich sehe nicht, was das ausmacht. Lucas ist vierunddreißig. Da ist anzunehmen, daß du nicht die erste Frau bist, die er gebeten hat, ihn zu heiraten. Ist es das, was dich so aufregt? Komm, Vicky, du bist viel zu intelligent, um wegen einer solchen Lappalie die Nerven zu verlieren. Was auch immer zwischen den beiden gewesen sein mag, es liegt Jahre zurück«, sagte Cleo.
»Sie konnte seinen Heiratsantrag nicht annehmen, weil er weder einen Titel hatte noch genügend Geld, um ihr oder ihrer Familie annehmbar zu erscheinen.«
»Nun, das ist ihr Problem, oder nicht? Lucas hat jetzt seinen Titel. Ich verstehe nicht, was das alles mit dir zu tun hat, Vicky.«
»Lucas hat den Titel geerbt«, sagte Victoria kühl. »Aber offensichtlich nur sehr wenig Geld. Jessica hat mir erklärt, daß Seine Lordschaft zu dem Schluß kam, wegen seines verdammten Titels eine reiche Erbin heiraten zu müssen, und daß er seine teure
Freundin Lady Atherton bat, ihn einer passenden Frau vorzustellen. Du errätst bestimmt, welcher der Frauen aus deinem Bekanntenkreis diese Ehre zuteil wurde.«
Cleo zog in der ihr eigenen Art die Brauen hoch. »Noch leichter errate ich, welche dieser Frauen sich darüber beschwert, nun so zu liegen, wie sie sich selbst gebettet hat. Wenn sie nur halb soviel Verstand besitzt, wie ich denke, dann wird sie dieses Bett sowohl für sich als auch für ihren Gatten so bequem wie möglich machen.«
Victoria blinzelte angesichts dieses unerwarteten Mangels an Solidarität. Sie kreuzte die Arme vor der Brust und starrte ihre Tante an. »Dich scheint die ganze Sache nicht sonderlich zu schockieren.«
»Verzeih mir. Ich mußte bereits den Schock überwinden, dich letzte Nacht in diesem Gasthaus vorzufinden. Ein Schock am Tag reicht einer Frau in meinem Alter.«
Victoria spürte, wie sie errötete. Sie wandte sich ab. »Ja, natürlich. Es tut mir leid. Wesentlich mehr, als es mir in dem Moment leid tat, als du uns entdeckt hast, das versichere ich dir.«
Cleos Ausdruck wurde weich. »Vicky, meine Liebe, ich fürchte, du erregst dich vollkommen unnötigerweise. Es überrascht mich nicht zu hören, daß Lucas nicht so wohlhabend ist, wie du angenommen hast. Er sagte es mir heute morgen in dem Gasthaus, während du dich anzogst.«
»Er sagte dir, daß er mich wegen meines Geldes heiraten würde?«
»Er sagte mir, daß er darum gebeten hatte, dir vorgestellt zu werden, da er es auf eine reiche Erbin abgesehen hatte. Doch er sagte, daß er dich heiraten würde, weil er dich in sein Herz geschlossen und festgestellt hat, daß du in jeder Beziehung die passende Frau für ihn bist.«
»In sein Herz geschlossen. Wie großmütig«, sagte Victoria.
»Victoria, ich bin ganz offen zu dir. Ich wußte von Anfang an, daß du wahrscheinlich in Schwierigkeiten geraten würdest mit
Stonevale. Da ist etwas zwischen euch beiden; es knistert, wenn ihr euch beide in einem Raum befindet. Aber ich mochte ihn, und ich dachte, wenn du alles für einen Mann riskieren würdest, weshalb dann nicht für ihn?«
»Ich bin so froh, daß du ihn magst, Tante Cleo.«
»Es besteht keinerlei Notwendigkeit, in diesem Ton mit mir zu sprechen. Du hast dich selbst in diese Lage gebracht.«
Victoria sah hinab auf das Muster des Teppichs und blickte dann in die mitfühlenden, doch unnachgiebigen Augen ihrer Tante. »Du hast recht, wie immer. Jetzt muß ich nur noch entscheiden, wie es weitergehen soll.«
Sanft sagte ihre Tante: »Als erstes mußt du dich umziehen. Lucas ist entschlossen, heute nachmittag abzureisen, und ich muß sagen, daß diese Entscheidung richtig ist. Je eher ihr aus der Stadt seid, um so besser.«
»Ich habe nicht die Absicht, mit Stonevale irgendwohin zu gehen.«
»Vicky, du bist unvernünftig. Dir bleibt gar keine andere Wahl.«
Bevor Cleo fortfahren konnte, ertönte ein verzweifeltes Klopfen an der Tür. Nans Stimme drang durch das Holz. »Verzeihen Sie, Ma’am, aber Seine Lordschaft hat mir aufgetragen, Ihnen zu sagen, daß er gezwungen ist, heraufzukommen und Sie zu holen, wenn Sie nicht freiwillig herunterkommen.«
Und Lucas würde kommen. Victoria wußte es. Es war sinnlos, die unvermeidliche Unterredung hinauszögern zu wollen. Sie ging an ihrer Tante vorbei. Die Hand auf dem Türknauf wandte sie sich an Cleo.
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