Verlangen
geschenkt hatte.« Lucas machte eine Pause. »Nicht nur ihr Herz, sondern einfach alles. Ihre Familie drängte sie zur Heirat, da sie wußte, daß sie das Kind eines anderen trug, das Kind eines mittellosen zweiten Sohnes, der nach Amerika ging, als er erfuhr, daß sie den Grafen von Stonevale geheiratet hatte.«
»Das arme Mädchen. Wie traurig für sie, gezwungen zu sein, einen Mann zu heiraten, den sie nicht liebte. Aber ihre Familie wollte natürlich nicht die Gelegenheit verpassen, ihre Tochter zur Gräfin zu machen, nehme ich an«, murmelte Victoria bitter.
»Wahrscheinlich nicht«, stimmte Lucas zu. »Aber wenn du vor Mitgefühl für die junge Dame überfließt, solltest du vielleicht auch ein wenig Mitleid für meinen Vorfahren aufbringen, der sich selbst an eine Frau gebunden sah, die in der Hochzeitsnacht keine Jungfrau mehr war.«
Victorias Blick wurde noch frostiger. »So? Ich war bei unserer Hochzeit auch keine Jungfrau mehr, falls Sie sich erinnern.«
»Das ist schwerlich dasselbe, in Anbetracht der Tatsache, daß ich der erste und einzige Mann war, mit dem du vor der Hochzeit geschlafen hast. Auf jeden Fall«, fügte Lucas inzwischen ebenfalls gereizt hinzu, »hatten wir ja noch nicht einmal eine Hochze ittsnacht, so daß dein Einwurf zumindest irrelevant erscheint.«
»Weißt du, Lucas, ich frage mich, mit welchem Recht deine Vorfahren, du oder irgendein anderer Mann erwartet, daß seine Frau als Jungfrau in die Ehe kommt. Ihr Männer übt euch ja auch nicht in Zurückhaltung bis zur Hochzeitsnacht.«
»Da ist die kleine Angelegenheit, daß man sichergehen möchte, daß die Kinder auch tatsächlich die eigenen sind.«
Victoria zuckte die Schultern. »Tante Cleo erzählte mir einmal, daß Frauen Wege gefunden haben, Jungfräulichkeit vorzutäuschen, seit Männer so überheblich sind, diese zu fordern. Selbst wenn ein Mann sicher ist, daß seine Frau bei der Hochzeit Jungfrau ist, heißt das doch noch lange nicht, daß die Kinder nicht die des Pagen sind, oder?«
»Victoria...«
»Nein, mir scheint, Graf, die einzige Art, wie ein Mann sicherstellen kann, daß die Kinder seiner Frau von ihm sind, ist, ihr zu vertrauen und zu wissen, er kann ihr glauben, wenn sie sagt, es sind seine Kinder.«
»Ich vertraue dir, Victoria«, sagte Lucas sanft.
»Nun, wie Sie sagten, was uns betrifft, ist es sowieso egal, nicht wahr?«
»Nicht völlig«, murmelte er. »Victoria, könnten wir bitte mit der Legende fortfahren?«
Sie blinzelte und wandte sich der Teekanne zu. »Ja, natürlich. Bitte fahren Sie mit der Geschichte fort, Graf.«
Lucas trank einen Schluck Tee und fragte sich, wie um Himmels willen die Unterhaltung derart hatte aus den Fugen geraten können. »Der Graf hatte einen Verdacht, konnte aber nichts beweisen, und da er seine junge Frau sehr liebte, beschloß er zu glauben, was er glauben wollte. Das klappte auch, bis das Baby tot zur Welt kam. Seine Frau wurde vor Trauer wahnsinnig. Sie gestand alles, gab ihrem Ehemann die Schuld an ihrem Unglück, da er es ihr unmöglich gemacht hatte, ihren Geliebten zu heiraten, und behauptete, sie wolle sterben. Und genau das tat sie dann auch.«
Victoria sah ihn ungläubig an. »Wie?«
»Bitte sieh mich nicht so an. Er hat sie nicht umgebracht. Sie erholte sich ganz einfach nicht mehr von der Geburt. Mrs. Sneath sagt, der Legende nach wollte sie einfach sterben, und folglich hat das Fieber sie hinweggerafft.«
»Was für eine tragische Geschichte. Was tat der Graf?«
»Er wurde bitter und zynisch gegenüber allen Frauen. Die Familie drängte auf einen Erben, also heiratete er schließlich ein zweites Mal, dieses Mal jedoch nicht aus Liebe. Es war in seinen Augen eine reine Zweckheirat, und er und seine Frau waren nicht gerade das, was man ein glückliches Paar nennen könnte. Tatsächlich verbrachten der Graf und seine Frau, nachdem der erforderliche Erbe geboren war, nicht mehr viel Zeit miteinander, und auf Stonevale waren sie anscheinend überhaupt nicht mehr.«
»War das die Zeit, in der die Ländereien zu verrotten begannen?«
Lucas nickte. »Ja, das zumindest besagt die Geschichte und auch die Bücher. Aus reiner Neugierde habe ich heute mehrere der Bücher durchgesehen, und ich mußte feststellen, daß der allmähliche Verfall der Güter mit dieser katastrophalen Heirat vor drei Generationen begann.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich. Der nächste Graf, der Vater meines Onkels, war nicht nur ein kalter und verbitterter Mann, er war zugleich
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