Verletzlich
Gehsteig. Schnell riss ich ihn hoch und den Bruchteil einer Sekunde später sprintete ich mit ihm über den Schultern los.
Doch etwas Festes und Schweres riss mir die Beine weg. Sagan wurde zu Boden geschleudert und fiel in das mit Laub bedeckte Gras am Wegesrand.
Ich selbst rutschte über den Asphalt. Mein Gesicht brannte höllisch. Über mir stand ein gedrungener, muskulöser Typ, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich zog die Schultern zurück, drückte mich ab und rammte mit voller Wucht die Fäuste in seinen dicken Bauch.
Die Augen des Kerls traten hervor und er brüllte ein gewaltiges »Autsch!«, als er rückwärts gegen die Mauer des Gebäudes flog. Dabei schlug sein feister Ellbogen mit einem hellen Klirren ein Fenster der Cafeteria kaputt.
»Weg hier!«, rief ich.
Sagan hatte sich wieder aufgerappelt und taumelte auf mich zu. Wir rannten wieder los, als drei weitere perdus über uns herfielen und uns niederrangen. Mein Gesicht wurde so fest in die Seite des einen gedrückt, dass ich kaum noch Luft bekam. Ich trat wild um mich und ruderte mit den Armen, bis sie mich zu viert an Armen und Beinen packten und hochhoben. Sie zerrten so fest an mir, dass ich einen Moment lang befürchtete, sie würden mich auseinanderreißen. Dann ließen sie los. Aber sofort hatte mich einer von ihnen an der Kehle und drückte mir mit seinem riesigen Arm die Luft ab. Ich war völlig wehrlos.
Unter höhnischen Bemerkungen wurde Sagan ins Observatorium gedrängt. Auch ich wurde dorthin geschleift. Zwei muskulöse perdus hatten mich jetzt unter den Armen gepackt. Derjenige, der mir die Kehle zudrückte, schob von hinten.
Sobald wir uns im Konferenzsaal befanden, stellten mich die drei Vampire an eine Wand mit Lamellentüren, in denen die Kabel für die Stromversorgung der Satelliten aufbewahrt wurden. Die anderen beiden Vampire schleuderten Sagan mit dem Rücken zuerst auf den Konferenztisch.
» Homme puant «, murmelte der gedrungene perdu , den ich gegen die Mauer geschleudert hatte, angewidert.
Was auch immer diese Worte bedeuteten, es war sicher nichts, was man gerne war.
Sagan wand und wehrte sich, wurde aber nach einer Weile sichtbar schwächer. Er wusste, was auch ich wusste. Ohne unsere Waffen hatten wir keine Chance.
Hinten in dem großen Raum stand eine große Gestalt und kam jetzt langsam näher. Zum ersten Mal, seit ich Moreau in den Bergen von Georgia begegnet war, sah ich ihn wieder als physische Person.
Seine Augen waren genauso schwarz, wie ich sie in Erinnerung hatte. Die Züge waren so kantig wie eh und je. Der Hautlappen über seinem rechten Auge wirkte feucht, als wäre er erst gestern von seinem Schädel gerissen worden. Dünne, rosafarbene Venenäste hoben sich in dem Fleisch ab.
Er kam näher, bis er zu nah war, und beugte sich über mich, sodass ich jeden Zentimeter seines abscheulichen Körpers spürte. Sein Mantel war fleckig und zerrissen und sein Hemd hatte Schweißränder. Seine Gesichtshaut hingegen war straff und unnatürlich trocken, wie gelbliches Papier.
Er leckte mir übers Gesicht.
Wie eine Schnecke, die sich jahrhundertelang durch Dreck bewegt hatte, kroch Moreaus heiße, fleischige Zunge über meine Wange. Ich versuchte mich wegzudrehen, doch die anderen hielten mich fest. Und als ich zu beißen versuchte, zog er den Kopf rechtzeitig zur Seite.
Schließlich spuckte ich ihm ins Gesicht.
Ich hatte erwartet, dass es ihn wütend machen würde. Stattdessen legte der Vampir den Finger in meine Spucke und steckte ihn sich anschließend in den Mund. Beim Schlucken bewegte sich sein Adamsapfel auf und ab. Plötzlich beugte er sich vor, als wäre ihm schlecht. Er schloss die Augen und holte durch seine spitze Nase tief Luft.
»Es ist also wahr«, sagte er dann mit tiefer Stimme. »Du hast … nourriture zu dir genommen.«
»Ich habe keine Ahnung, was das ist.«
»Nahrung«, übersetzte der perdu , der mich festhielt. »Du hast menschliches Essen in dir.«
Moreau hob den Arm, um Ruhe anzuordnen.
»Und das sang? Trinkst du es?«
»Wie hast du uns gefunden?«, antwortete ich mit einer Gegenfrage.
Moreau nahm mein Gesicht in eine Hand und quetschte es zusammen. Seine Finger rochen nach schimmeliger Erde und Baumrinde. Er drückte immer fester.
»Ich habe dich etwas gefragt.«
Ich biss die Zähne zusammen. »Ich kann an dem Zeug nichts finden.«
Moreau ließ von mir ab und wandte sich nachdenklich ab.
Ich musterte die anderen Vampire. Sie wirkten jünger als Moreau. Die beiden,
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