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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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unhandlich waren. Kurz überlegte ich, ob ich sie fortwerfen und dann an den Bullen vorbeijagen sollte, in der Hoffnung, dass sie mich aufgrund meiner Geschwindigkeit ohnehin kaum wahrnehmen würden. Doch das Risiko war mir zu groß.
    »Ich habe gesagt, du sollst das Zeug abstellen! Los jetzt!«, forderte derselbe Polizist jetzt barscher.
    Nein , dachte ich. Das Zeug zu beschaffen war zu mühsam gewesen, als dass ich es jetzt einfach stehen lassen würde. Die vordersten Bullen waren nur noch dreißig Meter von mir entfernt und kamen jetzt schnell näher. Offenbar spürten sie, dass ihre Beute festsaß. Zugegeben, wie ich so mit dem Rücken an der gläsernen Ladentür stand, war ich sehr wohl ein wenig verzweifelt. Offenbar hatte ich keine andere Wahl als meine Kraft mit der Scheibe zu messen …
    Moment mal .
    Ich blickte auf – ungefähr sechs Meter über mir befand sich eine gigantische ovale Galerie, die von einem Geländer umgeben war, das noch einmal ein bis eineinhalb Meter hoch war. Insgesamt also gut sieben Meter, wenn ich einen sauberen Abgang über die obere Etage machen wollte. Ich holte tief Luft – nie zuvor hatte ich versucht, so hoch zu springen, insbesondere nicht ohne vernünftigen Anlauf. Durch Wälder zu hüpfen war eine Sache … wenn es mir nicht gelang … die Folgen mochte ich mir nicht ausmalen. Würden sie auf einen unbewaffneten Vampir, der gekrümmt auf dem kalten Boden lag, mit dem Taser losgehen?
    Auf die Plätze …
    Ich ging in die Hocke, griff mit beiden Händen nach meinen Taschen und Tüten und startete dann direkt in Richtung der Polizisten. Dabei brüllte ich wie eine aufgeregte Mittelfeldspielerin, die im Begriff war, der Torhüterin voll einen reinzudreschen. Ich sah, wie die Bullen in Zeitlupe ihre Taser hoben, und – das muss jetzt funktionieren  – machte einen großen Schritt auf die niedrige Umrandung der Grünpflanzenwanne. Ich drückte mich mit voller Kraft ab und gewann bereits über dem Ficus Benjamini an Höhe, als sie schossen.
    Mindestens fünf Taser hörte ich auslösen, sah vier der kleinen eckigen Metalldinger an ihren viereinhalb Metern Draht zucken und dann klirrend zu Boden fallen, während sich das fünfte vorn am großen Zeh in meinen linken Schuh bohrte.
    Ich stieg noch immer höher, als ich spürte, wie der Stromstoß durch mein Bein jagte. Er war nicht schlimm, lange nicht so dramatisch wie damals, als ich so alt gewesen war wie Manda jetzt und eine Gabel in eine Steckdose gesteckt hatte. Doch das unangenehme Gefühl, wenn Strom durch den Körper schießt, war eindeutig zu spüren. Sehr menschlich war das nicht.
    Der Taser, mit dem ich getroffen worden war, wurde dem Schützen aus den Händen gerissen, während ich noch immer in der Luft war und vor Spannung innerlich zitterte. Ich hatte das Gefühl, es nicht zu schaffen, doch im nächsten Moment prallte ich mit voller Wucht bäuchlings gegen das Geländer. Mir blieb die Luft weg und meine Einkaufstaschen wurden mir aus den Händen geschleudert. Doch dank der Trägheit der Masse, oder wie dieses physikalische Gesetz auch immer heißen mochte, segelten sie sicher über das Geländer hinweg. Als ich kopfüber nach vorn geschleudert wurde, sah ich, wie die Taschen vor mir über den Boden rutschten und sich die Kleidung überall verteilte.
    Von unten waren Rufe zu hören, es war ein fassungsloses Fluchen. Während ich mich über das eingedrückte Geländer hievte und auf den Boden fallen ließ, fluchte auch ich leise. Mir brach der kalte Schweiß aus. Noch immer spürte ich das von dem Laser verursachte Taubheitsgefühl, aber ich sammelte mich schnell. Mir blieb auch nichts anderes übrig, wenn ich mit meinen Sachen heilen Fußes hier herauskommen wollte.
    Obwohl mir kotzübel war, begab ich mich auf Hände und Knie und riss mir den Taserdraht aus dem Fuß. Dann suchte ich im Krebsgang zornig meine Beute wieder zusammen. Zornig war ich, weil der köstliche Käsekuchen als matschige Pampe auf dem Boden lag.
    Obwohl ich mich nur schwerfällig bewegen konnte, gelang es mir, den Großteil meiner »Einkäufe« zu retten. Dann humpelte ich auf wackeligen Beinen davon. Zumindest wälzte ich mich nicht mit wilden Stromspasmen auf dem Boden.
    Nur wenige Sekunden später rannte ich wieder, einen Fluchtplan hatte ich allerdings noch nicht. Wenn hier viele Menschen gewesen wären, hätte ich vielleicht untertauchen können – ganz sicher, denn ich trug eine Sonnenbrille, Schlafanzug und Trekkingschuhe –,

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