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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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hellblauen Augen bewegten sich. Mir gefiel, wie ihm die Haare, die ihm bis auf die Ohren reichten, über die Brille fielen.
    »Du bist anscheinend ziemlich sauer auf mich?«, begann ich erneut.
    Bevor er antwortete, hatte er mindestens eine ganze Seite gelesen … und dann antwortete er auch nicht richtig, sondern gab nur eine Art Grunzen von sich.
    Ich beugte mich zu ihm hinüber, weil ich das Bedürfnis hatte, seinen Arm zu berühren. »Was ist los?«
    »Gern geschehen, was die Pizza betrifft.«
    »Danke. Gibt’s noch welche?«
    »Ähm. Und du bist wieder hier, weil …?«
    Ich berührte seinen Arm. Zwar zog er ihn nicht weg, aber ich merkte, wie sich seine Muskeln anspannten.
    »Wie war es heute in der Schule?«
    »Auf der Uni. Ich bin auf der Uni.« Was darin mitschwang, war: Ich bin kein Kind mehr wie du.
    Und wen soll das interessieren? , wollte ich gerade sagen, entschied mich dann aber für eine mildere Variante. »Ist bestimmt nett an der Uni zu sein.«
    Sagan schlug lautstark sein Buch zu und sah mich endlich an. »Bitte geh. Sofort.«
    »Nein, tut mir leid. Nicht, bis sich deine Laune wieder gebessert hat.«
    »Warum sollte ich überhaupt mit dir reden?«
    »Weil ich eine coole Gesprächspartnerin bin. Weil du mich magst.«
    Gut, der Köder war ausgeworfen. Mal sehen, ob er anbiss. Zunächst sah es nicht danach aus. Im Gegenteil: Sagan nahm einen Löffel von seinem Chili und pustete, bevor er ihn sich in den Mund schob. Ich hatte so viel ungesundes Zeug im Magen, dass es unerträglich war, ihm beim Essen dieser nahrhaften Mahlzeit zuzuschauen.
    Er legte den Löffel ab und atmete langsam aus, während er in die untergehende Sonne starrte. Hoffnungsvoll wartete ich.
    »Mein ganzes Leben ist es schon so«, sagte er und sah mich abermals an. »Ich bin immer der hilfsbereite Kerl, der für andere da ist. Entweder ich konnte Dinge, die sie nicht konnten. Oder ich war einfach nur bereit zu helfen. Dafür brauchten mich die Leute. Dass ich etwas für sie tat.«
    »Wie ein Werkzeug«, sagte ich.
    Sagan fluchte. »Du warst gestern Abend nur auf etwas zu essen aus.«
    Ich verdrehte die Augen. »Wenn jemand eine Küche durchwühlt, ist das ziemlich offensichtlich.«
    »Deshalb hast du also beschlossen, deinen Charme spielen zu lassen, nur damit ich dir etwas zu essen kaufe. Du hast mich benutzt.«
    Wow, dass ich Charme hätte, hörte ich zum ersten Mal. »Ich habe dich nicht benutzt«, verteidigte ich mich. »Na ja, vielleicht ein bisschen. Aber das ist nicht der Grund, warum ich zurückgekommen bin …«
    »Das war alles nur ein Scherz, oder?« Sagan lächelte nicht.
    »Was?«
    »Du hast mir den ganzen Abend weismachen wollen, dass du ein armes, obdachloses Mädchen bist, das missbraucht wurde oder in anderen fürchterlichen Schwierigkeiten steckt.«
    »He!« Ich konnte nicht anders. Langsam wurde ich wütend. »Das ist unfair. Alles, was ich dir erzählt habe, stimmt. Ich habe nie behauptet, missbraucht worden zu sein. Und ich habe auch gesagt, dass ich nur vorübergehend kein Zuhause habe. Stimmt’s oder hab ich Recht? Ich habe sehr wohl ein Zuhause, aber im Moment muss ich hier draußen leben. Weil ich tatsächlich in Schwierigkeiten stecke. Und, ja, sie sind ziemlich übel.«
    »Woher soll ich wissen, dass du mich nicht wieder austrickst?«, fragte Sagan. »Die Sonnenbrille brauchst du wahrscheinlich auch nicht.«
    Ich nahm die Brille ab und steckte sie in die Tasche. Sagan war dabei, sich einen weiteren Löffel Chili in den Mund zu schieben. Plötzlich hielt er inne und starrte mich mit großen Augen an.
    »Wie oft soll ich noch sagen, dass es mir leidtut?«, wollte ich von ihm wissen. »Du hast Recht. Dass ich gestern abgehauen bin, war nicht … nicht besonders nett von mir.« Das Wort hatte ich noch nie gemocht. Nett waren Leute, die immer den Kürzeren zogen, weil sie Angst hatten, ihre Meinung zu sagen.
    »Ich weiß noch immer nicht, wie du heißt«, sagte er.
    »Emma«, antwortete ich. »Ich heiße Emma.«
    Sagan sah mich fragend an. »Nachname?«
    »Tut mir leid, aber mehr gibt’s nicht.«
    »Und warum sollte ich dir glauben?«
    »Ich lüge nicht. Das ist mein Name. Sie haben mich nach meiner Tante benannt.«
    »Gut, Emma. Erzähl weiter. Wer sind ›sie‹?«
    »Meine Eltern sind geschieden. Ich wohne mit meiner Mutter und meiner jüngeren Schwester zusammen in einer kleinen Wohnung. Meinen Vater habe ich seit … na ja, schon sehr lange nicht mehr gesehen. Ich weiß eigentlich gar nicht mehr

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