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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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könnte ich auch.«
    »Was?«, fragte Sagan.
    Niemals würde ich es laut sagen, aber denken konnte ich es: Drei Wochen in einer Höhle verbringen. Mit dir.
    Ich ließ mich von Sagan am Observatorium absetzen.
    »Ist dein Ding an?«, fragte er.
    Ich lächelte. »Mein Ding?«
    »Ich meine das Funkgerät, das ich dir gegeben habe, du Scherzkeks.«
    »Nein, musst du etwa los?«, jammerte ich und versuchte ihm ein schlechtes Gewissen zu machen, weil er mich allein zurückließ.
    »Ich habe meinem Vater versprochen, ihm bei der neuen Umzäunung unseres Pools zu helfen. Wir eröffnen die Saison immer einen Monat vor allen anderen.«
    »Ihr habt einen Pool! Du hast mir gar nicht gesagt, dass du reich bist.«
    Er schnaubte verächtlich.
    »Ja, stimmt. Er ist ziemlich groß. Meine Mutter bringt mich um. Ich sollte schon vor zwei Stunden zu Hause sein.«
    Ich legte ihm die Arme um den Hals … er fühlte sich warm an. »Ich dachte, du wolltest deinem Vater helfen.«
    »Aber meine Mutter hat bei uns die Hosen an.«
    »Und wo vermuten sie dich jetzt?«
    Er sah mich komisch an. »Bei dir.«
    Ich zog die Arme zurück. »Du hast ihnen doch nicht etwa von mir erzählt?«
    »Das ist mein neuer Spitzname. Für das Observatorium.«
    »Was?«, hakte ich nach.
    »Emma.«
    »Fast hätte ich es vergessen«, sagte Sagan, als ich ihn zu seinem Jeep zurückbegleitete. »Du wirst begeistert sein. Nicht so cool wie eine Höhle, aber …«
    Er griff in seine Hosentasche und zog etwas daraus hervor, was aussah wie ein großes, goldenes Medaillon an einem kurzen, goldenen Band. Für einen Kettenanhänger war es zu schwer. Er zeigte mir, wie man es öffnete. Mir stockte der Atem.
    »Eine Taschenuhr!«, rief ich begeistert. »Ich wollte schon immer eine Taschenuhr haben. Papi trägt immer eine bei sich. Als ich noch klein war, hat er sie immer mit in mein Bett gelegt, damit ich besser einschlafen konnte.«
    »Ich wünschte, ich könnte behaupten, es wäre ein unbezahlbares Familienerbstück«, sagte Sagan. »Aber sie verkaufen sie gerade haufenweise im Supermarkt zu $12.95 das Stück.«
    Ich hielt mir die Uhr ans Ohr und lauschte dem Ticken. Einige Male musste ich schlucken und kämpfte mit den Tränen. Ich dachte an meinen Großvater. Wie sehr er sich jetzt wohl um mich sorgte.
    »Danke. Kommst du morgen wieder?«, fragte ich.
    Sagan verzog das Gesicht. »Nee. Ich hatte eigentlich vor, den Tag mit meinen Schwestern zu Hause herumzugammeln und mich vielleicht ein bisschen um die Wäsche zu kümmern.«
    Ich boxte ihn in den Oberarm.
    »Du bist verrückt«, sagte er und rieb sich die getroffene Stelle.
    Ich küsste ihn. Dann lächelte ich und bald war es zu einem lauten, schallenden Lachen geworden.
    »Was ist?«, fragte Sagan.
    »Eine Fledermaus«, stieß ich schließlich hervor. »Ich habe nicht eine einzige Fledermaus gesehen.«

13
    Steinhaus
    Zurück in meinem Turm wusste ich, dass ich nicht würde schlafen können. Heute nicht. Nicht mit dem Geschmack seines Mundes auf meinen Lippen. Dem Gefühl, von seinen Armen umschlungen zu sein.
    Sagan . Ich brauchte nur seinen Namen auszusprechen, dann spürte ich schon ein Prickeln im ganzen Körper und begann schneller zu atmen.
    Die fortschreitende Dunkelheit machte mir zu schaffen.
    Ich glaubte, in der Falle zu sitzen. Ich musste fort. Ich musste rennen. So schnell ich konnte. Einfach abheben.
    Ich rannte ungefähr zehn Kilometer, mindestens die Hälfte davon bergauf. Ich lief mitten auf der Straße, weil es der einzige Weg war, den ich dorthin kannte. Mit gesenktem Kopf flog ich dahin und blickte nur vor Kurven auf, um dann gleich wieder auf die an meinen Augen vorbeisausenden weißen Streifen auf dem Asphalt zu schauen. Zwei Autos sah ich erst im letzten Moment und konnte ihnen gerade noch ausweichen.
    Ich rannte den Monte Sano hinauf, zum Lieblingsort meines Großvaters, dem Steinhaus-Hotel oder dem maison de pierres , wie mein Großvater es nannte. Er hatte es in den 1960er-Jahren mit gebaut. Einst war es ein beeindruckendes Hotel gewesen, mit Ballsaal und zwei riesigen, mannshohen Kaminen.
    Doch es hatte ein Feuer gegeben. Nur zehn Jahre nach der Eröffnung war es bis auf die Grundmauern abgebrannt. Ein Mann wurde festgenommen, der versucht hatte, seine Geliebte zu verbrennen. Nur Reste der Steinmauern waren geblieben.
    Ich kannte den Weg hierher gut genug, um nicht auf die Schilder schauen zu müssen. Den Picknickpavillon am Ende der Sackgasse konnte ich so deutlich wie am Tag sehen. Um die

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