Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
und ich haben schon lange nichts mehr miteinander zu tun. Sie ist nicht einmal zu Jonas’ Beerdigung gekommen.« Henning schiebt sich an ihr vorbei an seinen Arbeitsplatz und schaltet seinen Computer ein.
»Du könntest es doch wenigstens versuchen«, sagt Heidi. »Das kann man immer, Henning. Es versuchen. Warum tust du nie, worum man dich bittet? Du bist immer nur auf Streit aus. Ist es wirklich zu viel verlangt, dass du manchmal, wirklich nur manchmal, für die Mannschaft spielst?«
Henning sieht zu ihr auf. »Für die Mannschaft ?« Er spuckt das Wort aus, als hätte es einen schlechten Beigeschmack.
»Wenn deine Schwester Scheiße gebaut hat, dann ist es unsere Aufgabe, darüber zu berichten, Henning, das weißt du ganz genau.«
»Ja, das weiß ich. Es ist aber ein Unterschied, ob man …« Henning hält inne. »Es ist Zeitverschwendung, Heidi. Ich habe wirklich Besseres zu tun.«
»Ach was«, sagt sie mit einem ironischen Unterton. »Was würdest du eigentlich machen, wenn du mit jemandem zusammenarbeiten müsstest?«
»Ich arbeite mit jemandem zusammen. Mit Iver.«
»Ja, aber Iver ist nicht da. Im Moment jedenfalls nicht.«
Henning antwortet nicht. Er weiß nicht, was er noch sagen soll.
Auch Heidi scheinen die Worte ausgegangen zu sein. Mit einem Schnauben stapft sie davon.
12
»Ich wäre jetzt gern allein«, sagt Trine leise.
Die anderen sehen sie verwundert an, während sie selbst sich darauf konzentrieren muss, sich nicht zu übergeben. »Bitte, seid so gut, nur ein paar Minuten.«
Stühle werden gerückt. Die meisten gehen. Nach einem kurzen Moment ist nur noch Katarina Hatlem da. Sie hat die Hand schon an der Klinke, bleibt aber stehen. »Alles in Ordnung mit dir?«
Trine dreht sich um und nickt kurz, ehe ihre Augen sich mit Tränen füllen. Überhaupt nichts ist in Ordnung.
Als sie allein ist, setzt sie sich wieder und begräbt ihr Gesicht in den Händen, schüttelt schniefend den Kopf.
Der 9. Oktober.
Im Nachhinein ist es nicht schwer, Argumente zu finden, warum sie damals anders hätte handeln sollen. Obgleich sie nach wie vor davon überzeugt ist, seinerzeit das Richtige getan zu haben. Und sie würde es genauso wieder tun, sollte sie erneut in eine derartige Situation geraten. Vielleicht würde sie beim nächsten Mal sorgsamer darauf achten, alle Spuren zu verwischen. Denn irgendjemand scheint trotz allem auf sie aufmerksam geworden zu sein, eine andere Erklärung gibt es nicht. Oder doch? Jemand muss sie gesehen haben und hat die Klappe nicht halten können. Anders kann sie es sich nicht erklären. Warum zum Henker hat sie nur in die Sache eingewilligt?
Damals, als der Ministerpräsident anrief, dachte sie nur an die grenzenlosen Möglichkeiten, die sich ihr bieten würden. An die Chancen, etwas zu bewirken, an mehr Macht, mehr Lohn. Aber auch mehr Öffentlichkeit, mehr Druck, mehr Klagen. Es würde immer jemanden geben, der mehr will, der der Meinung ist, die Prioritäten seien falsch gesetzt, Strategien verfehlt und dass sie ihren Job nicht beherrsche. Trotzdem sagte sie Ja nach nur wenigen Sekunden Bedenkzeit. William Jespersen wollte, dass sie für ihn arbeitete. William Jespersen.
Sie wusste natürlich, dass sie eine exponierte Stellung innehaben würde, aber genau das reizte sie. Norwegen hatte seit dem Krieg nicht viele starke Justizminister. Die Chance, sich unsterblich zu machen und Geschichte als gute Justizministerin zu schreiben, war einfach zu verlockend. Sie wollte eine Ministerin sein, die Respekt genoss und ihre Visionen durchsetzen konnte. Das Leben als Justizministerin beinhaltete in ihrer Vorstellung vorzubeugen, zu reagieren, aufzuklären und zu rehabilitieren.
Und jetzt – alles weg.
Träume, Ambitionen, Visionen – alles weg.
Jetzt wird man sie nur noch wegen dieser Sache in Erinnerung behalten. Nicht wegen dem, was sie bereits verändert und erreicht hat.
Der Ministerpräsident hat sie schon damals gewarnt, er hat prophezeit, dass man sie mit Argusaugen beobachten würde, weil sie eine Quereinsteigerin war, die, ohne auf der Reservebank gesessen zu haben, direkt in die Nationalelf aufstieg. Trine hat damals nicht verstanden, was er meinte, aber auch nicht nachgefragt. Schließlich redete sie mit dem Regierungschef. An Fußball dachte sie nicht.
Jespersen prophezeite auch, dass es Spekulationen geben würde, weil sie eine attraktive Frau war, und er wollte von ihr wissen, ob sie genug Kraft habe, das auszuhalten. Sie antwortete mit einem Kichern wie
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