Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
Der wichtigste Grund aber, warum Trine sie unbedingt als Kommunikationschefin haben wollte, war die Tatsache, dass sie vorher etliche Jahre bei NRK gearbeitet hat und die Medien in- und auswendig kennt.
Die beiden eilen den Flur entlang und an der Galerie ihrer Amtsvorgänger vorbei, die sie aus vergoldeten Rahmen herab anlächeln. Eine männerdominierte Wand, die erst in den letzten zwanzig, dreißig Jahren weiblichen Zuwachs bekommen hat. Die Bilder gemahnen daran, wie schnell ein politisches Leben zu Ende sein kann. Manch ein Minister musste Hals über Kopf seinen Sessel räumen, denkt Trine, und mancher Fall war hart. Sie weiß, dass auch von ihr ein Bild bereitsteht, sollte sie überraschend abtreten. Selbst das Abschiedsgeschenk ist schon eingekauft.
Sie beschleunigt ihre Schritte, bis sie schließlich ihr Büro erreicht, und hängt die Jacke an den Kleiderständer hinter ihrem Stuhl.
»Sind alle da?«, fragt sie.
»Alle, die einbestellt wurden«, antwortet Hatlem.
»Okay, bringen wir es hinter uns.«
Als Hatlem geht, tritt der Staatssekretär Harald Ullevik ein. Er begrüßt Trine. Sein warmer Blick schnürt ihr den Hals zu, und sie muss sich zwingen, etwas anderes anzusehen, nicht den eleganten Mann, der mit seinen kurzen grau melierten Haaren und der aufrechten Körperhaltung direkt einer Dressman-Reklame entstiegen sein könnte. Katarina Hatlem hat ihn auf einem Fest mal Harrison Ford getauft, und garantiert ist der sechsundvierzigjährige Staatssekretär der Mann auf ihrer Etage, der die meisten Blicke auf sich zieht. Auch von Männern.
»Wie ist es gelaufen?«, fragt er. »War es so schlimm, wie du gedacht hast?«
»Schlimmer«, schnauft Trine und dreht sich von ihm weg.
»Aber es ist gut gegangen? Du hast nichts gesagt?«
Trine schüttelt den Kopf.
»Gut«, sagt er und tritt einen Schritt näher an den Besprechungstisch heran. »Die anderen Staatssekretäre sind heute unterwegs, aber das ist nicht weiter relevant. Du wirst das hier brauchen«, sagt er und hält einen Stapel mit Presseausschnitten hoch, den die Informationsabteilung für sie vorbereitet hat. »Die Medien wird jetzt nur interessieren, was du zu den Vorwürfen zu sagen hast. Also müssen wir entscheiden, was du sagen sollst – sofern du überhaupt etwas sagst.«
Ullevik legt den Stapel vor sich hin, setzt sich an den Tisch und gießt sich ein Glas Wasser ein. Trine ist nicht danach, sich zu setzen – nicht ehe alle da sind.
Es dauert nicht lange, bis sie Schritte hört. Die leitende Ministerialdirektorin Hilde Bye kommt herein, gefolgt von Trines politischem Berater Truls Ove Henriksen. Sie nicken Trine zu und sagen fast synchron: »Guten Morgen.« Dann nehmen sie ihre festen Plätze am Tisch ein und versorgen sich mit Kaffee, ehe auch Katarina Hatlem den Raum wieder betritt und die Tür hinter sich schließt.
Trine setzt sich und legt eine Hand auf den Kalenderausdruck des Tages. Alle Anwesenden scheinen darauf zu warten, dass sie etwas sagt, aber sie weiß nicht, wo sie anfangen soll. Sie greift nach dem Stapel mit den Zeitungsausschnitten und presst den Zeigefinger auf das oberste Blatt. »Ist so etwas überhaupt erlaubt?«, fragt sie.
»Was?«, fragt die Ministerialdirektorin zurück, die vor Kurzem fünfzig geworden und schon viele Jahre die höchste Beamtin des Justizministeriums ist. Trine ist nie sonderlich gut mit ihr ausgekommen, ohne genau sagen zu können, woran das liegt. Vielleicht hat es mit der immerwährenden Skepsis in ihrem Blick zu tun, der sie auch jetzt wieder quält.
»Ich habe noch nicht alles gelesen, was über mich geschrieben wurde«, sagt Trine. »Aber in dem VG -Artikel steht etwas von Quellen, mit denen sie Kontakt haben. Darf man einfach so irgendwelche Behauptungen veröffentlichen, die höchstens durch zwei Quellen bestätigt werden? Egal worum es geht?« Trine sieht in die Runde und wartet auf eine Antwort.
»Dann stimmt es also nicht, was da steht?«
Trine wirft der Ministerialdirektorin einen scharfen Blick zu. »Darauf kannst du Gift nehmen.«
Zu Hilde Byes fünfzigstem Geburtstag wurde Trine gebeten, ein paar nette Worte zu sagen. Dabei wäre es ihr eindeutig leichter gefallen, ihre Macken zu benennen: Sie ist nicht besonders freundlich und taktisch nicht sonderlich geschickt, weder in Sachdingen noch im sozialen Umgang. Außerdem ist sie viel zu sehr eingenommen von ihrer Chefrolle.
»Wenn das der Fall ist«, sagt Truls Ove Henriksen, »dann sagst du einfach, wie es ist. Dass die
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