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Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Titel: Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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verächtlichen Blick an. »Sie helfen Menschen, indem Sie ihnen Medikamente verkaufen, die Sie hier geklaut haben?«
    Sund reißt die Augen auf. »Medikamente verkaufen? Wovon reden Sie?« Er setzt eine beleidigte Miene auf. »Glauben Sie wirklich, dass wir so etwas tun?«
    Bjarne antwortet nicht.
    »Von wegen. Wir fahren zu den Leuten nach Hause und sorgen dafür, dass sie die Pflege bekommen, die ihnen die Krankenkasse verwehrt.«
    Bjarne merkt gar nicht, dass sein Mund offen steht. Diese Wendung kommt für ihn vollkommen überraschend.
    »Sind Sie sich eigentlich im Klaren darüber, wie viele Menschen mit dem Gesundheitswesen in Norwegen unglücklich sind? Hier in Oslo? Wie viele Menschen dabei zusehen müssen, wie ihre Angehörigen, die dieses Land mit aufgebaut haben, wie der letzte Dreck behandelt werden? Wie …« Sund kommt ins Stocken.
    »Sie behaupten also, Krankenbesuche gemacht zu haben?«
    Sund nickt.
    »Sie arbeiten schwarz?«
    Sund senkt den Blick.
    »Das ist illegal«, sagt Sandland.
    »Ach. Das ist mir schon klar«, antwortet Sund säuerlich.
    »Und Sie nehmen keine Medikamente hier aus dem Pflegeheim mit?«
    »Medikamente haben die wirklich genug, die kriegen sie ja verschrieben. Ich habe keine Ahnung, weshalb so viele Medikamente aus diesem Haus verschwinden. Aber das passiert überall, in allen Pflegeheimen. Pflege besteht aber nicht nur aus Pillen. Richtige Pflege ist viel, viel mehr!«
    »Ja, ja«, unterbricht Bjarne ihn. »Sie haben also eine private Nebenerwerbsquelle aufgezogen?«
    Sund nickt.
    »Wie lange machen Sie das schon? Wie hat das angefangen?«
    Sund sieht wieder zu ihm auf. Der anfängliche Widerstand scheint verpufft zu sein.
    »Mein Vater hatte mit siebenundfünfzig einen Schlaganfall, danach war er ein Pflegefall. Ich habe mich bis zu seinem Tod vor ein paar Jahren um ihn gekümmert. Mama ist gestorben, als ich noch klein war. Im Bekanntenkreis wussten natürlich die meisten, wie ich mich um Vater gekümmert habe, und irgendwann hat der Erste gefragt, ob ich so etwas nicht auch für jemand anderen tun würde. Nicht in Vollzeit, natürlich, aber ab und zu, wenn ich Zeit hätte. Gegen Bezahlung. In der Zwischenzeit hatte ich längst einen Job in der Krankenpflege gefunden und kannte die Probleme und die Unzufriedenheit bei den Betroffenen. Also habe ich Ja gesagt.«
    »Und das ist dann immer mehr geworden?«
    Sund nickt. »Daniel und ich sind über diese Arbeit gute Freunde geworden. Ich wusste, dass auch er Geld brauchte, weshalb ich ihn irgendwann gefragt habe, ob er sich ein paar Kronen dazuverdienen wolle. Ja, das ist Schwarzarbeit, und ja, das ist illegal, aber wir brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben. Nicht die Bohne. Den Menschen geht es unseretwegen besser.«
    »Ihnen selbst aber auch.«
    Sund schnaubt. »Ich kann meine Miete zahlen, ja, gerade so eben. Das sollte eigentlich ein Grundrecht für einen jungen, gut ausgebildeten Menschen wie mich sein. Aber Sie müssen jetzt sicher Ihrer Pflicht nachkommen«, sagt er mürrisch, »und mich einbuchten. Vergessen Sie nur nicht, abends, bevor Sie ins Bett gehen, einen Blick in den Spiegel zu werfen und sich zu fragen, ob die Stadt dadurch sicherer geworden ist und ob wir jetzt alle besser schlafen können.«
    Bjarne antwortet nicht. Er hat nicht vor, sich mit Sund auf eine Diskussion über dieses Thema einzulassen. Stattdessen gehen seine Gedanken wieder zu Erna Pedersen. Sie hat also doch nichts gesehen, wie Bjarne zuerst dachte. Ole Christian Sund hat nichts mit ihrem Tod zu tun. Und aller Wahrscheinlichkeit nach gilt das auch für Daniel Nielsen und Pernille Thorbjørnsen.
    Aber wer war es dann?
    Sandlands Handy klingelt. Sie holt es aus der Jackentasche und signalisiert Bjarne, dass sie zum Telefonieren nach draußen geht. Bjarne bleibt mit den Pflegern allein, die nichts mehr sagen und einander nicht mehr ansehen.
    Sekunden später steht Sandland wieder in der Tür und räuspert sich. Sie winkt ihn mit einer kurzen Bewegung zu sich.
    Als Bjarne vor ihr steht, flüstert sie ihm ins Ohr: »Wir haben noch einen Mord. Wir müssen los.«
    46
    Vor dem Mietshaus in der Helgesens gate stehen zwei Wagen ein Stück voneinander entfernt. Henning weiß, dass die Journalisten auch seine Mutter angerufen und bei ihr geklingelt haben.
    Es ist nicht schwer, sich Zutritt zu einem Haus mit mehreren Parteien zu verschaffen und an jede Tür zu klopfen, bis man die richtige gefunden hat. Doch als Henning aufschließt und die Treppe nach

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