Verlieb dich nie in einen Vargas
Dann war sie mehr als willkommen. Sie konnte einen ganzen Monat freinehmen und einen Überseekoffer voller Manuskripte mitbringen, und Mom konnte empanadas machen, und Papi konnte jedem erzählen, dass er diese Riesenüberraschung hätte. Dann würden wir alle nach draußen gehen, und er würde das Motorrad anlassen und allen davon erzählen, wie wir es repariert hatten, hauptsächlich wir beide, und Mom und Mari würden jubeln, und wir würden Emilio nicht mal erwähnen müssen.
Aber noch war das Zukunftsmusik. Zuerst musste ich Mom überzeugen, Mari davon zu überzeugen, dass wir bestens klarkamen, dass sie ihr Leben in Denver nicht mitsamt Wurzeln herausreißen musste, nur um herzukommen und auf Papi und mich aufzupassen.
Denn die Reparatur zu unterbrechen? Kam nicht infrage.
Engelchen-Jude zeigte mir am Ende den Finger und Teufelchen-Jude haute ihr eine runter und nickte mir aufmunternd zu. Weißt du was, Jude, der Boss braucht ständig neue Leute hier unten. Ich lege nur zu gern ein gutes Wort für dich ein …
Ich machte mir eine Tasse Matetee und holte die Reste der torta de papas heraus, ein Kartoffelomelett mit viel Tomatensoße und Käse obendrauf. In der Küche war es wunderbar friedlich, die wohlriechenden Nachwehen von Moms Kochkünsten schwängerten die Luft, Pancake schnarchte leise in seinem Körbchen, die Uhr nicht Telefonzelle hielt Sekunde um Sekunde fest, wie die Nacht verstrich. Ich schloss die Augen und ließ den Geschmack der in Soße getränkten torta auf meiner Zunge zergehen.
Es war Papis Leibgericht, und das letzte Mal hatte Mom es an seinem Geburtstag gekocht, der früher im Jahr gewesen war. Er aß nur ein paar Bissen davon – sagte, es schmecke ihm nicht. Dass es ihm noch nie geschmeckt hätte. Sie brachen einen albernen Streit vom Zaun, der damit endete, dass Mom alte Fotoalben hervorkramte, die frühere besondere Anlässe dokumentierten, zu denen sie die torta gemacht hatte, und schließlich verlor er den Streit und nahm zweimal nach, nur damit die Kummerfalten aus ihrem Gesicht verschwanden.
Beim Abendessen heute hatte er beinah die halbe Pfanne verputzt.
Jetzt schlug die Uhr zwölf und stimmte ihr melodisches Läuten an. Der zarte Zauber der Mitternacht war gebrochen und mein Hunger gestillt.
Ich öffnete den Müllschlucker und rechnete halb damit, auf eine weitere Broschüre zu stoßen, vielleicht auf die fehlenden Bewerbungsunterlagen. Aber an diesem Abend entdeckte ich keine Neue-Wege-Propaganda. Nur die üblichen Essensreste und zerrissenen Umschläge und Kaffeesatz. Und eine Baseballkappe, einen ungeöffneten Beutel Tiefkühlerbsen, eine Seife Marke Irischer Frühling, eine Socke und drei DVD s aus Aracelis Michael-J.-Fox-Phase.
Papi musste auf Wanderschaft gewesen sein.
»Du bist aber noch spät auf.« Moms Stimme war leise, als sie in die Küche schlüpfte, ihre normalerweise glatte Gesichtshaut von feinen rosa Linien überzogen.
Ich legte die DVD s und die Seife auf den Ablauf der Spüle. Die Baseballkappe war ziemlich durchweicht und nicht wert, gerettet zu werden. »Bist du auf dem Sofa eingeschlafen?«
»Schuldig im Sinne der Anklage«, erwiderte sie.
Ich machte uns beiden frischen Tee und setzte mich zu ihr an den Küchentisch. Jetzt, da Papi im Bett war, konnten wir offen über den Arztbesuch reden – ein Thema, das sie und Papi beim Abendessen tunlichst vermieden hatten.
»Sein Erinnerungsvermögen lässt nach«, sagte sie. »Aber nicht so stark, wie sie gedacht hatten. Er ist zu einer klinischen Studie zugelassen. Sie haben noch einen Gehirnscan und einen Gentest gemacht. Sie versuchen, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen.«
»Meinst du, das wird helfen?«
»Ich hoffe es, mi amor .« Mom fischte ihren Teebeutel aus der Tasse und ließ ihn auf die Untertasse fallen. »Sie haben ihm das Armband von der Alzheimer-Gesellschaft mitgegeben. Nur für alle Fälle.«
Die Ärzte hatten das Armbandprogramm erwähnt, als sie ihm die Diagnose mitgeteilt hatten, aber Mom hatte sogleich verkündet, dass seine Krankheit kein persönliches Aushängeschild bräuchte. Jetzt umfing sie mit zwei Fingern ihr Handgelenk, ein temporäres Armband passend zu dem von Papi.
»Sie haben meine Nummer von der Arbeit, meine Handynummer, unsere Adresse und deine Handynummer. Also falls er auf und davon spaziert …« Sie ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen, ihre Miene war aufgewühlt.
»Würden sie uns anrufen«, sagte ich. »Ich erinnere mich.«
»Es ist eine
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