Verlieb dich nie nach Mitternacht
Wochen.
Doch die Aussicht auf drei freie, ungestörte Tage wirkte wie ein Rettungsring in stürmischer See. Sie beruhigte die Nerven. Nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet, legte Maribel sich ins Bett. Sie schlief sofort ein. Als sie erwachte, hämmerte jemand gegen ihre Wohnungstür, und draußen war es dunkel. Benommen tastete sie nach dem Lichtschalter.
Verdammt noch mal, es war Heiligabend!
Warum ließ man sie nicht einfach in Ruhe?
Die Verärgerung wich plötzlicher Furcht, als sie sich daran erinnerte, dass schon einmal jemand so kräftig gegen ihre Tür gehämmert hatte. Damals war es die Polizei gewesen. Maribel spürte, wie ihr von den Zehen an kalt wurde und sie am ganzen Körper zu zittern begann.
»Hallo. Frau Weber. Sind Sie da?« Das Gesicht der spitznasigen Hausbewohnerin, die Probleme mit dem Wasserabfluss im Keller hatte, erschien vor Maribels geistigem Auge, als sie die Stimme erkannte. Hastig schlüpfte sie in ihren Bademantel, fuhr sich mit den Händen durch die Haare und lief zur Tür. Bevor sie öffnete, schob sie sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund.
»Na endlich.« Die Frau behielt den Arm mitten in der Luft, als die Tür aufgerissen wurde.
Erstaunt blickte Maribel auf die kleine Menschenansammlung. Außer der Frau mit der spitzen Nase warteten noch zwei ältere Männer und eine junge Frau auf sie. Ihnen allen gemeinsam war der grimmige Gesichtsausdruck, den sie zur Schau trugen.
»Fröhliche Weihnachten«, wünschte Maribel.
Die Frau, die ihre Hand langsam sinken ließ, musterte ihr Gegenüber mit Abneigung. Maribel zog den Kragen ihres Bademantels über der Brust fester zusammen.
»Die Heizung ist kaputt. Sie müssen was unternehmen.«
»Kaputt? Haben Sie den Regler auch auf die höchste Stufe gestellt?«
Einer der Herren schnaufte verächtlich durch die Nase. »Oben bei mir in der Wohnung erfrieren gerade meine Frau, meine Mutter und meine Schwiegermutter. Ich kann das Weihnachtsfest vergessen, wenn die Heizung nicht bald repariert wird.«
»Haben Sie mal versucht, einen Heizungsinstallateur zu erreichen?« Sie erntete finsteres Schweigen. Zu spät fiel ihr auf, dass die kleine Gruppe dies von ihr, der Hausmeisterin, erwartete.
Maribel fühlte sich noch immer sehr schläfrig. Aber irgendetwas musste sie unternehmen, um die aufgeregten Gemüter zu beruhigen.
»Ich kümmere mich darum«, versprach sie, vermied es aber tunlichst, dabei jemanden anzusehen. Bestimmt stand ihr die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben. Sie konnte nur hoffen und beten, dass am wichtigsten Feiertag des Jahres wenigstens ein Unternehmen einen Notdienst eingerichtet hatte.
*
Eine Dreiviertelstunde später hatte Maribel auf ein halbes Dutzend Anrufbeantworter gesprochen und mindestens ebenso viele Absagen kassiert. Von den zweiundneunzig Mietparteien im Haus beschwerten sich zwanzig bei ihr über die Heizung. Wenn Maribel diesen Abend überleben wollte, musste sie für alle sichtbar aktiv werden.
Oder wenigstens so tun als ob.
Sie schlüpfte in den blauen Overall ihres Vorgängers, den sie im Arbeitsraum gefunden hatte, klemmte sich den Werkzeugkasten unter den Arm und marschierte zum Heizungskeller. Dort war sie zumindest außer Sichtweite ihrer erzürnten Mitbewohner.
Doch beim Anblick der Heizungsanlage verlor Maribel endgültig allen Mut. Sie schlug die Hände vors Gesicht und heulte los – zum ersten Mal, seit sie als Fünfjährige vom Fahrrad gefallen war.
Maribel hielt erschrocken inne, als sie weiter oben im Hause lauter werdende Stimmen erkannte. Sie schniefte und zog die Nase hoch. »Menschen sind wie Hunde. Sie beißen, wenn du Schwäche zeigst.« Auch ein Spruch ihrer Mutter. Hastig wischte Maribel sich mit den Händen die Tränen vom Gesicht.
Irgendetwas musste sie doch tun können, verflixt.
Misstrauisch beäugte sie die Heizungsanlage. Im Zeitalter der Zentralheizung beschränkte sich ihre Kenntnis vom Heizen auf das Aufdrehen des Ventils am Heizkörper. Um überhaupt etwas zu tun, kramte sie in der Werkzeugkiste ihres Vorgängers herum, bis sie einen Schraubenschlüssel fand. Sie wog das kühle Metall nachdenklich in der Hand. Langsam ging sie um den Kessel herum. Schrauben entdeckte sie genug, doch wo musste sie ansetzen, um die Heizung wieder zum Laufen zu bringen? Ein ölig verschmiertes Exemplar in der Nähe des Heizungsrohres wirkte vielversprechend auf sie. Zaghaft prüfte sie mit der Hand von außen die Temperatur. Der Kessel war kalt. Maribel fasste sich ein Herz und
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