Verliebt bis unters Dach Roman
Wahrheit. Das, was ihn ausmachte. Denn genau das machte ihn aus, und daher liebte sie ihn, und das machte es gleichzeitig unmöglich, ihn zu haben.
Liesel biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie ganz fahl wurde, doch sie nickte, und er wusste, dass sie ihn verstand.
»Okay. Ich weiß, wie schwer es ist, und ich will nicht alles noch schlimmer machen, aber ich muss dir eine einzige Frage
stellen. Ich erwarte jetzt keine Antwort, aber bitte denk darüber nach...«
Sie wartete, bis er nickte. Dann holte sie tief Luft.
»Es klingt vielleicht ziemlich naiv, aber ich meine, wenn du wirklich jemanden liebst, dann gibt es in deinem Herzen keinen Platz für einen anderen. Ich weiß, dass ich nicht mit dir zusammen sein will, wenn du nicht genauso stark mit mir zusammen sein willst - daher meine Frage: Du glaubst, dass es richtig ist, dein Versprechen an Caroline nicht zu brechen, aber wie kannst du jemanden wirklich glücklich machen, wenn du gar nicht weißt, ob du wirklich mit ihr zusammen sein willst?«
Er wartete einen Moment mit seiner Antwort, und Liesel sah, wie er mit ihren Worten rang.
»Du hast Recht. Du hast vollkommen Recht, aber du musst verstehen, dass ich es ihr schulde, zumindest die Geduld aufzubringen, das herauszufinden.«
Liesel nickte unglücklich, und er wehrte sich gegen den Drang, sie in den Arm zu nehmen.
»Ich sage ja nicht, dass es nie sein wird, Liesel. Nur jetzt im Moment geht es nicht«, murmelte er leise.
Dann seufzte er lange und schwer. Er war sehr zerrissen, es tat ihm genauso weh, und beim Anblick der Verwirrung und des Leidens in seinem Gesicht kam Liesels natürliche Güte wieder zum Vorschein.
Wie sehr hatte sie Nick gehasst, weil er Marilyn und Alex einfach so aufgegeben hatte!
Wie sehr hatte sie Samantha gehasst, weil sie ihn dazu gedrängt hatte!
Wollte sie ein solcher Mensch sein?
Natürlich nicht.
Sie streckte die Hand aus und berührte sanft seine Finger.
»Es tut mir leid. Das habe ich nicht so gemeint. Ich verstehe es.«
Er sah sie hoffnungsvoll an.
»Wirklich?«
»Klar. Du musst das einfach tun.«
»Du verstehst, dass ich das für mich herausfinden muss? Dass es das Richtige ist?«
Liesel nickte, weil sie keine Worte fand und nicht wusste, wie lange sie das so ertragen konnte.
»Ich finde aber, dass du jetzt gehen solltest«, flüsterte sie kaum hörbar.
Tom nickte, berührte kurz ihr Gesicht, lächelte sie traurig an, regte sich aber nicht.
»Bitte.« Das war sogar noch leiser geflüstert.
Tom musste sich geradezu zwingen, sich abzuwenden und fortzugehen, sich aber, wie Lots Frau, vor der Hausecke noch einmal umdrehen und sie noch einmal lange und sehnsüchtig ansehen.
Liesel war an der Hauswand zusammengesackt und sah so klein und verletzlich aus, dass er auf der Stelle umkehren und sie in den Arm nehmen wollte, um ihr zu sagen, dass alles wieder gut würde. Aber das konnte er nicht, denn er wusste nicht, ob es die Wahrheit war, und sie hatte ihn um die Wahrheit gebeten. Hundertprozentig. Daher gelang ihm nur ein ersticktes: »Und pass auf dich auf, ja?«
Liesel nickte nur kurz.
»Habe ich immer schon getan. Das wird auch so bleiben«, murmelte sie trotzig, als er um die Ecke bog.
Da konnten ihre Beine plötzlich ihr Gewicht nicht mehr
tragen. Liesel schob die schweren Terrassentüren zu ihrem Wohnzimmer auf und ließ sich aufs Sofa fallen.
»Ich brauche keinen Mann, ich brauche niemanden, ich brauche nichts, außer was ich schon habe«, rezitierte sie wie eine Mantra.
Und dann kam Ruby aus dem Garten hinter ihr hereingerast, voller Freude am Dasein, über kleine gelbe Bälle und all die schlichten Dinge, die einem Hund das Leben schön machen. Sie sprang Liesel auf den Schoß, schleckte ihr Gesicht ab, und Liesel umklammerte das kleine Tier ganz fest und begann zu weinen.
Zwanzig Minuten später fanden Marilyn und Alex sie dort.
»Geh und wasch dir die Hände, denn es gibt gleich Abendessen«, ermahnte Marilyn den besorgten Alex leise und schob ihn aus dem Zimmer. Dann holte sie tief Luft, um die eigenen Tränen zu unterdrücken, die ihr sofort in die Augen gestiegen waren, als sie die Schwester schluchzend sah.
Liesel weinte nicht. Sie weinte nie. Nie mehr seit ihrer Kindheit. Marilyn erinnerte sich oft an einen einzigen Vorfall, als sie in Südfrankreich in Urlaub waren. Liesel war damals wohl im gleichen Alter gewesen wie Alex heute und war am Strand auf ein paar Felsen ausgerutscht und gefallen. Dabei hatte sie sich das Knie so
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