Verliebt in eine Gottin
unterwegs in der Boutique, die sie noch nie betreten hatte, farbenfrohe Baumwollröcke und Sommerkleidchen einkaufte. Als sie die Eingangstür des Kaffeehauses öffnete und die wunderbaren Düfte von Abbys Backkunst sie umschwebten, atmete sie sie einen Augenblick lang tief ein und setzte sich dann zu Abby und Daisy an den großen Küchentisch, um mit ihnen zu schwatzen und zu lachen, und schließlich wurde sie nüchtern, als sie diese unbegreifliche Göttinnengeschichte besprachen. Sie riss außerdem Beas alte Tapete von den Wänden und strich die Wände weiß, wobei es ihr weitgehend gelang, nicht zu kommen, indem sie sehr auf der Hut war und das Abreißen der Tapeten außerdem keine orgiastischen Gefühle weckte. Abby schien zerstreut, Daisy aber war so überglücklich, dass Shar einen Gedanken, der sie beunruhigte, für sich behielt: Noah, der Grund für Daisys Glücklichsein, arbeitete für Kammani.
Wie Sam.
Überhaupt gab es so viele Dinge, die sie beunruhigten – was Kammani im Sinn hatte, was Sam mit ihr im Sinn hatte, was Sam mit anderen Frauen im Sinn hatte, was es bedeutete, eine Göttin zu sein, was ihre besonderen Kräfte bedeuteten, ob sie einen Preis dafür zu zahlen hatten, ob sie sich zurückhalten konnte, mitten im Kaffeehaus zu kommen -, dass sie sich kaum auf eines davon konzentrieren konnte; allerdings sorgte Sams Wortkargheit bei all ihren Fragen nach Kammani dafür, dass diese spezielle Sorge ihre Liste anführte.
Dienstagmorgen musste sie ins College gehen, um Unterricht zu halten, also schlüpfte sie in eines der neuen Sommerkleider, tiefblau mit einem Stich Türkis, küsste die Hunde zum Abschied und winkte Sam zu, der sich auf Der Gladiator konzentrierte. Sie ging die Temple Street hinunter, kam am Kaffeehaus vorbei und dachte sich, dass sie wirklich endlich die Frontseite streichen und dem Ganzen einen neuen Namen geben mussten.
Als ihr ein knallrotes Auto in die Augen stach und zugleich Abbys Backdüfte sie umwaberten, empfand sie so etwas wie einen Kurzschluss im Gehirn und musste sich an einem Laternenpfahl festhalten, bis das Zittern und Keuchen nachließ. Sie lächelte einem Kerl, der stehen geblieben war, um sie zu betrachten, schwach zu und japste: »Asthma!«, um ihn loszuwerden. Wohin sie auch ging, schien alles schärfer, süßer, kraftvoller, glänzender, aufregender …
Hör auf damit , befahl sie sich selbst.
Das Geschichtsgebäude wirkte ganz entschieden nicht orgiastisch. Ihr Postfach war vollgestopft mit Besprechungsnotizen, Nachrichten von Studenten und uninteressanten Flugblättern, die in der verfehlten Hoffnung, dass sie gelesen würden, in allen Postfächern der Fakultät verteilt wurden; der Leiter der Abteilung bemerkte, dass sie zu ihren Bürostunden zu spät kam, und unterbrach sich dann, um ihr ein Kompliment über ihr Kleid und ihr Haar zu machen. Eine Studentin, die im Büro als Hilfskraft tätig war, erklärte ihr, dass sie mit den Kopien, die sie für den Unterricht brauchte, noch nicht fertig war.
»Sie müssen sich beeilen«, erwiderte Shar. »Ich brauche sie in einer halben Stunde.«
»Also, das ist einfach unmöglich«, begann die Studentin, aber Shar starrte sie nur an, bis sie zurückwich.
»Sie werden sie bis dahin fertig haben«, befahl Shar.
»Halbe Stunde«, wiederholte die Studentin, und Shar wandte sich ab und durchquerte die Eingangshalle in Richtung ihres Büros. Sie war nicht sicher, ob es in Ordnung ging, was sie getan hatte, aber sie wusste, dass sie die verdammten Kopien brauchte.
Die Tür zu Rays Büro, das neben dem ihren lag, stand offen, und er rief ihren Namen, als sie vorbeiging. Sie blieb stehen.
»Tut mir leid wegen des Fernsehers«, begann er, brach aber verwirrt ab und betrachtete sie näher. »Trägst du etwa ein Kleid?«
»Tja, Ray«, antwortete Shar, die ganz unübersehbar in etwa drei Metern Gaze steckte, »ich trage ein Kleid.«
Kopfschüttelnd setzte sie ihren Weg in ihr eigenes Büro fort, doch Ray rief: »Warte, sag mal, was weißt du eigentlich über diesen Sam? Ihr wart nur sechs Monate verheiratet …«
»Ich weiß eine ganze Menge«, log Shar, und ihr fiel ein, worüber Ray eine ganze Menge wusste. »Ray, weißt du etwas über eine Göttin mit dem Namen Kammani Gula? Bist du in deinen Forschungen je über sie gestolpert?«
Seine Stirn glättete sich. »Kammani? Nein. Gula, natürlich, aber …«
Ray zog einen gelben Notizblock heran und schrieb »Kammani Gula«. »Weißt du, aus welcher Ära? Assyrisch?
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