Verliebt in einen Gentleman
Schreck! Jetzt begreife ich, was sie meint. Vor lauter Aufregung habe ich vergessen, dass entsprechend dem Linksverkehr auch die Haltestellen anders liegen. Wie blöd ist das denn?
Ich kreuze zur anderen Seite und warte keine zwei Minuten, da kommt ein Bus und ich steige ein.
Es geht zügig Richtung Innenstadt. Die Türme und Zinnen, für die Cambridge so berühmt ist, werden immer größer. Die Herbstsonne fällt in einem schrägen Winkel und lässt die Gebäude gold-rot leuchten. In der klaren Luft ist der Kontrast zwischen den langen Schatten und den hellen Flecken, wo das Licht noch hinfällt, wunderschön. Jetzt geht es über den River Cam. An seinen Ufern flanieren Spaziergänger. An einem kreisrunden Platz beschließe ich auszusteigen. Hier sind so viele alte, schöne Gebäude – hier bin ich sicher richtig.
Tatsächlich bin ich in der Altstadt von Cambridge gelandet, da, wo sich die schönsten Colleges befinden. Anscheinend ist diese Straße für den Autoverkehr gesperrt, aber überall sausen unzählige Fahrräder herum. Ich muss scharf aufpassen, weil ich gewohnheitsmäßig immer in die falsche Richtung gucke, wenn ich die Straßenseite wechseln will.
Ein besonders beeindruckendes Gebäude steht hier. Es sieht aus, wie etwas aus einer Filmkulisse. Die Steinfassade ist über und über mit Schnörkeln und Säulen verziert, darüber ragen Türmchen und Zinnen.
Ich frage eine Asiatin, die in einer Reisebroschüre blättert: „Könnten Sie mir bitte sagen, um welches Gebäude es sich hier handelt?“
Sie nickt freundlich und legt los: „Das ist das Trinity College. Weiter die Straße hinunter ist das King's College. Da müssen Sie sich unbedingt die Kapelle ansehen. Sie ist atemberaubend. Aber wenn Sie darauf achten, haben die meisten Colleges auch Schilder davor, auf denen steht, um welches es sich handelt.“
Ich bedanke mich und sehe mich um.
Unmengen von Menschen sind hier unterwegs. Die meisten sind wohl Touristen. Jetzt wäre der Zeitpunkt, mich dazu zu beglückwünschen, dass ich ein Gratis-Quartier ergattert habe. Bei diesen Menschenmaßen ist das Übernachten in Cambridge wahrscheinlich sehr teuer.
Manche der Passanten eilen in schwarzen, wehenden Capes vorbei. Einige Tragen flache Deckelhüte auf dem Kopf. Es sind die Studenten der höheren Semester. Ich hätte nie gedacht, dass sie ihre Roben tatsächlich auf den Straßen tragen. Sie sehen so malerisch aus, dass ich wie verrückt fotografiere.
Jetzt nähere ich mich dem Trinity College. Man kann durch ein rundes Tor auf den Innenhof gelangen. Wie in einem Kloster, befindet sich hier ein tadelloser grüner Rasen, so wie man ihn nur in England finden kann, so kurz und grün, als hätte man Samtstoff ausgerollt. Darauf kreuzen sich akkurat gerade Wege aus Steinplatten.
Um den Hof herum steht das ehrwürdige Häuserensemble. Die Fenster sind mit schrägen Butzenscheiben verglast. Wie es wohl dahinter aussieht? Ob Ethans Bruder hinter so einem Fenster wohnt?
Mein Herz klopft bei dem Gedanken, dass ich schon morgen Abend in dem gotischen Speisesaal essen werde. Was würde die Japanerin, mit der ich gerade noch gesprochen habe, darum geben, das auch zu dürfen? Es ist wahnsinnig aufregend.
Da fällt mir siedend heiß ein, dass ich in meiner bescheidenen Reisetasche absolut nichts mitgebracht habe, was ich zu solch eine Essen anziehen könnte. Himmel, was zieht man überhaupt zu so einem Essen an? Ich bin völlig ratlos.
Was würde die japanische Touristin sagen, wenn ich sie das fragen würde? Da wäre sie sicher auch am Ende ihrer Weisheit.
Ich könnte natürlich auch einfach in meiner guten Jeans und meiner rosa Bluse hingehen, aber das wäre sicher underdressed, Wenn ich doch nur die Handynummer von Ethan hätte, dann könnte ich wenigstens ihn dazu befragen.
Ich drehe den Colleges erst einmal den Rücken zu. Es hilft alles nichts, das Kleiderproblem ist jetzt extrem dringlich.
Meine Füße tragen mich auf die entgegengesetzte Straßenseite, wo sich eine bunte Ansammlung von Läden befindet. Sie sehen alle so exklusiv aus, dass ich mit sinkendem Herzen überlege, dass ich hier nichts ausrichten werde. Da fällt mein Blick auf ein Ladenschild von „Laura Ashley“. Laura Ashley-Kleider sind so hundertprozentig britisch, denke ich, wenn ich da etwas fände, würde es sicher prima zu dem Anlass passen. Also schiebe ich die Ladentür auf und trete ein. Eine Verkäuferin eilt prompt herbei.
„Womit kann ich Ihnen
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