Verliebt in Hollyhill: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
wirkte so jung. Und irgendwie hungrig. Bekamen die Leute im 19. Jahrhundert denn gar nichts zu essen?
Mrs. Pratt zuckte mit den Schultern. »Mr. Wakefield hat sie eingestellt, gemeinsam mit zwei Burschen, die in Stall und Garten aushelfen sollen.« Sie seufzte. »Fragen Sie nicht. Als fleddere man die Leiche, solange sie noch warm ist, etc., etc., ich weiß.« Sie nickte Emily zu. »Ich zeige dir dein Zimmer«, sagte sie, »dann kannst du anfangen.«
Damit durchquerte sie die Küche bis zu einer Tür am gegenüberliegenden Ende, und Emily folgte der Haushälterin eine schmale Holzstiege hinauf und weiter nach oben, bis unters Dach in einen niedrigen Gang, von dem mehrere Türen wegführten. Sie öffnete die letzte auf der linken Seite. »Hier«, erklärte sie. »Annas Kammer.«
Emily machte einen Schritt nach vorn und blieb im Türrahmen stehen. Das war ja mal ein eklatanter Unterschied zu den Räumen im Erdgeschoss – deutlicher ließ sich das Gefälle zwischen Reich und Arm in Sachen Möblierung kaum darstellen. Allein beim Anblick der Pritsche, auf der sie offenbar die Nacht verbringen sollte, tat Emily der Rücken weh.
Mrs. Pratt schob sich an ihr vorbei und legte die zwei kurzen Schritte zum Schrank zurück. »Der junge Herr hat recht«, erklärte sie dabei, »ich habe selten ein Kleid an einem Hausmädchen gesehen, das weniger seinem Stand entsprach. Da möchte man gar nicht wissen, wo es herkommt.«
Emily sah an sich hinunter. »Ein Freund hat es mir ausgesucht, er sagte, es sei …«
Mrs. Pratt wirbelte herum, und Emily blieb der Rest des Satzes im Hals stecken. »Ein Freund?«, rief sie, die Augen aufgerissen. »Welche Art Freund kann ein Mädchen wie du haben, bitte schön?«
Oh. Ja, also … Nun ja.
Emily nahm Mrs. Pratt das Stoffbündel aus der Hand, das diese aus dem Schrank gezogen hatte. »Ich ziehe mich eben um«, murmelte sie, und Mrs. Pratt nickte streng. »Das ist ein Kleid von Anna«, sagte sie, »also gib ein bisschen Acht. Und beeil dich«, fügte sie hinzu. »Du hast selbst gesehen, es brennt an allen Ecken und Enden.«
Sie war bereits an der Tür, da sagte Emily: »Anna – war das ihr einziger Name?«
Mrs. Pratt drehte sich überrascht um.
»Ich meine, sie hat sich nie als Amber ausgegeben, oder? Hatte sie vielleicht einen zweiten Namen?«
Mrs. Pratt runzelte die Stirn.
»Und Sie wissen nicht, warum sie fortgegangen ist? Ich meine, hat sie gesagt, wo sie hinwill?«
»Hör zu, mein Kind«, setzte Mrs. Pratt an und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich weiß nicht, warum der Herr dich eingestellt hat, aber ich behalte dich im Auge. Hast du das verstanden?«
Etc. etc., schon klar. Emily seufzte. Dann nickte sie. Meisterdetektivin, dachte sie, während sich die Tür hinter der Haushälterin schloss. Kein Wunder, dass Matt sie nicht hier haben wollte.
Matt!
Emily lief zum Fenster und spähte hinaus. Sie sah die Stallmauer, die sie bereits aus ihrem Traum kannte, und davor Cullum, der mit jeder Hand die Zügel eines Pferds umschlungen hielt. Als habe er ihren Blick gespürt, hob er den Kopf und zwinkerte ihr zu. Emily hob die Augenbrauen. Sie konnte Matt nirgendwo entdecken. Und sie fragte sich, ob nicht eigentlich er sich um die Pferde hätte kümmern sollen, in Hollyhill jedenfalls war dies seine Aufgabe, er liebte Pferde, er hatte selbst eins, und das letzte Mal, als sie ihn mit einem gesehen hatte, hatte er zwei bewusstlose Männer über den Rücken des Tiers geworfen.
Emily schloss die Augen. Immer wieder schob sich die Szene von vergangener Nacht in ihre Gedanken, und immer wieder schob sie sie weg.
»Emily!« Jemand schrie nach ihr, und Emily begann hastig damit, die Knöpfe auf dem Rücken ihres Kleids aus den Schlaufen zu lösen. Gar nicht so einfach.
»Neues Mädchen!«
Emily stöhnte und öffnete die Tür. »Ich bin gleich so weit!«, rief sie, während sie eilig aus dem Kleid stieg. Sie verschwendete nicht mehr als einen klitzekleinen Gedanken an ihre lächerliche, knielange Unterwäsche, dann schlüpfte sie in den Leinensack, den Mrs. Pratt ihr als »ein Kleid von Anna« verkauft hatte. Er hing wie eine Jute-Tüte an Emilys Körper.
»Vergiss nicht die Schürze, die Haube liegt im Schrank!«, hallte es zu ihr nach oben. »Und dann beeil dich, wie lange kann es dauern, Himmel Herrgott!«
»Wieso«, murmelte Emily, während sie sich suchend nach der Schürze umsah, »wieso nur musste ich unbedingt mit?«
Sie öffnete die Tür des Schranks, der leer war, bis
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