Verliebt in Hollyhill: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
später. Nun geh.« Er wollte Milly in Richtung Treppe schieben, doch sie sträubte sich und wandte sich wieder an Emily.
»Das ist mein Bruder John«, erklärte sie mit der absoluten Ernsthaftigkeit, die nur eine Sechsjährige aufbringen konnte. »Er ist beim Militär und erst seit zwei Tagen hier auf Heimurlaub. Er ist seeeehr beschäftigt, und mit ihm darfst du auch nicht sprechen.« Sie grinste. »Es sei denn, er erlaubt es dir. Darf sie mit mir spielen, John?«
Emily biss sich auf die Lippen.
»Milly, nach oben!«, kommandierte John.
Das Mädchen zuckte mit den Schultern, hob mit einer Hand sein Kleidchen an und stapfte in Richtung Treppe.
Emily lächelte. Genau eine Millisekunde lang.
»Was führt ihr beiden hier im Schilde?«, fragte Wakefield kalt, sobald Milly außer Hörweite war.
»Ich bereite die Feuer für den Abend vor, Sir«, antwortete Matt sofort. Er stand auf und stellte sich neben Emily, die immer noch das Tablett hielt. Es wurde langsam schwer in ihren Händen.
»Sicher wartet Mrs. Whittle schon auf mich«, murmelte sie und setzte sich in Bewegung, als Wakefield sie am Arm festhielt, wie schon zuvor. Er starrte sie an, und Matt trat einen winzigen Schritt nach vorn.
»Gibt es noch andere Räume, in denen heute Abend ein Feuer geschürt werden soll – Sir ?«, fragte er. Er war Emily so nah, dass sie seinen Ärger spüren konnte.
Wakefield starrte weiter auf Emily, ließ aber ihren Arm los. »Dann solltest du Mrs. Whittle nicht länger warten lassen«, sagte er leise, und Emilys Nackenhaare stellten sich auf. Aus dem Augenwinkel warf sie einen letzten Blick auf Matt, dann lief sie eilig davon.
»Wir werden morgen nach ihnen suchen, Chauncey«, hörte sie Wakefield sagen. »Nach Lennis und Brixton. Irgendwo müssen sie ja sein.« Es klang wie eine Drohung und es war ohne Zweifel wie eine gemeint.
Emily dachte an Anna.
Wieso lässt du nach ihr nicht suchen?, fragte sie sich.
Wieso nicht?
Weil du etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hast?
Emily hatte den Gang zum Personaltrakt gerade erreicht, als ihr ein Gedanke kam. Sie blieb stehen.
Jonathan Wakefield war seit zwei Tagen auf Heimurlaub, hatte Milly gesagt. Laut Brixton müsste er also am gleichen Tag angekommen sein, an dem Anna verschwunden war. Was, wenn sie seinetwegen fortgelaufen war? Wenn Anna, die womöglich Amber war, sich vor Jonathan Wakefield gefürchtet, der sie gewürgt und womöglich am Kopf verletzt hatte?
Emily kam nicht dazu, sich eine Antwort auf ihre Fragen zu überlegen, sie kam nicht einmal mehr dazu, einen einzigen Gedanken an Wakefield zu verschwenden. Den Rest des Nachmittags verbrachte sie damit, Befehle entgegenzunehmen und sie auszuführen – und zwar schnell.
»Wie lange kann es dauern, einen Topf zu spülen?«
»Kannst du Unkraut nicht von Salbei unterscheiden? Kind, wo bist du aufgewachsen – in einem Stall?«
»Die Wäsche auf das Brett klopfen! Was soll das, willst du dieses Laken sauber bekommen oder in den Schlaf streicheln?«
»Gütiger Himmel, womit haben wir das verdient! Du bist doch keine alte Frau!«
Am Ende des Tages hatte Emily das Geschirr einer Armee geschrubbt, die Wäsche einer Kompanie aufs Waschbrett geklopft, sie hatte den Boden gekehrt und Waschschüsseln geleert, und als es daran ging, das Abendessen vorzubereiten, hatte sie geweint vor lauter Zwiebelschneiden und geflucht über den Berg aus Teig, der wie Beton an ihren Fingern klebte.
Ihr war weder gestattet worden, den Tisch im Salon zu decken, noch das Essen aufzutragen. Für den Umgang mit den Herrschaften, hieß es, sei ausschließlich Becky zuständig.
Emily fragte sich, ob sich Jonathan Wakefield über sie beschwert hatte, aber dann verwarf sie den Gedanken wieder. Es gab eine Rangfolge, was das Personal in einem solchen Haus betraf, und Mrs. Pratt hatte ihr bereits erklärt, dass sie in dieser Reihe den letzten Platz einnahm. Noch hinter Hope, dem armen, getriezten Küchenmädchen, dessen sommersprossige Wangen vor lauter Anstrengung vermutlich nie mehr die kupferrote Farbe ihrer Haare ablegen würden.
Emily seufzte. Sie sah nach wie vor keinen Sinn darin, weshalb sie hier war. Weshalb sie nicht im Hollyhill des 21. Jahrhunderts geblieben war.
Inzwischen war es 21 Uhr. Das Geschirr war abgeräumt und gespült, Mr. Wakefield hatte sich mit seinem Sohn und seiner Tochter Mary ins Musikzimmer zurückgezogen. Becky hatte Milly ins Bett gebracht, dann hatten sie, Hope und Emily einen Teller Suppe mit Brot
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