Verliebt in Paris: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
War mir doch egal, was wir unternahmen.
»Das wird ein klasse Tag«, meinte Dad. »Dann mach doch noch kurz halt im Businesscenter, bevor wir losziehen, und dann werden wir …«
»Nicht nötig.«
Dad sah mich an, als wäre mir gerade ein zweiter Kopf gewachsen. »Stimmt was nicht?«
»Ist nichts«, sagte ich aus der Gewissheit heraus, gescheitert zu sein. »Da liegt bloß … nichts für mich an.«
Mom beschloss, wir sollten den Donnerstagnachmittag im Rodin-Museum verbringen.
»Du wirst es da herrlich finden«, meinte sie vergnügt lächelnd, als wir zur Metro gingen. »Eine wunderschöne alte Stadtvilla, in der jede Menge Künstler aus dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert zur Miete gewohnt und gearbeitet haben.«
Wen kümmerte es? Mich nicht. Ich konnte es kaum abwarten, wieder nach Chicago zu kommen. Die Reise war voll der Reinfall. Mein ätzendster Urlaub überhaupt bisher.
Ich musterte die Leute in der Metro. Zwei Mädchen im Collegealter mit Schals um den Hals unterhielten sich lachend über irgendwas. Nervig . Eine Frau hielt Händchen mit einem kleinen Jungen, dem grüner Rotz aus der Nase lief. Widerlich . Zwei Männer mit Schlips und Kragen waren auf dem Weg ins Büro. Einer der Kerle schien Mom mit Blicken auszuziehen. So was von eklig!
Ich hasste Paris. Die eitlen Leute. Die seltsame Küche. Die muffige Metro voller Körperausdünstungen. Und als wir erst im Rodin-Museum waren, hasste ich auch das.
»Es wird dir gefallen«, sagte Mom und reichte mir einen Museumsführer zu den ganzen Skulpturen.
Es gefiel mir nicht. Am schlimmsten fand ich die Skulptur Der Kuss . Ein Marmorstandbild eines nackten Mannes und einer Frau, die im Begriff sind, sich zu küssen. Nicht dass ich es schlimm fand, weil es mich an Webb denken ließ. Wir hatten uns ja auch gar nicht geküsst bis auf seine beiden Wangenküsschen bei unserem Zusammentreffen im Bahnhof. Das zählte nicht. Und danach hat er mich nicht einmal mehr geküsst. Im Grunde war sein Bedürfnis nach mir seit dem Augenblick verpufft, als wir uns gegenübergetreten waren.
Je länger ich den Kuss anstarrte, umso mehr dachte ich über Webb nach. Der Kerl in Rodins Standbild sah so aus, als würde er gleich die Frau küssen, es aber gar nicht wollen. Lieber würde er sein Buch lesen. Ich hasste den Kuss und die Leute, die sich küssten, und überhaupt alles, was mit Küssen zu tun hatte.
Sogar Rodin hasste ich. Kaum zu glauben, aber das Museum enthielt auch Skulpturen von Camille Claudel. Sie war eine Schülerin und die Geliebte Rodins, was nur beweist, dass es auch damals schon perverse Lehrer gab. Eigentlich waren ihre Arbeiten sogar ziemlich gut. Doch Rodin scheint sie abgesägt zu haben, als sie langsam geisteskrank wurde. Am Ende hat ihre Familie sie in eine Irrenanstalt eingewiesen, wo sie noch jahrzehntelang weiterlebte, ehe sie einsam starb.
Das Einzige im ganzen Museum, was mir gefiel, war eine Skulptur, die ich draußen im Garten entdeckte. Sie hieß Balzac und war das riesige, beklemmende Standbild eines sagenhaft griesgrämigen Schriftstellers, von dem ich noch nie was gehört hatte. Laut Führer buhten die Pariser das Standbild aus, als Rodin es 1898 enthüllte. Doch ich mochte es. Besonders Balzacs unheilvoll aussehenden Dracula-Umhang und seinen verrückten Scheiß-drauf-was-die-Leute-von-mir-halten-Gesichtsausdruck. Er sah so aus, wie ich mich fühlte.
Ich hockte im Gras, starrte Mr Balzac an und fragte mich, wie lange es noch dauern mochte, bis Mom versuchen würde, mich in eine Irrenanstalt einzuweisen. Es würde voll zu ihr passen und wäre total ungerecht. Camille Claudel hatte wenigstens Sex gehabt, bevor sie in die Klapse wanderte und starb.
Dr. Guillotin hatte recht. Eine scharfe Klinge durch den Hals konnte durchaus ein Gnadenakt sein.
Webb und ich waren zurück im Kristallpalast, als ich spürte, wie mein BlackBerry vibrierte.
»Ich geh mal eben raus und telefoniere«, teilte ich Webb mit. »Wir treffen uns nachher wieder hier.«
»Okay«, sagte er tonlos. Die Ausstellung schien ihn zu langweilen. Vielleicht hatte ja ein Besuch schon gereicht. Da könnte ich ihm nicht mal widersprechen.
Der Anruf kam von Solange.
»Falls du mir sagen willst, dass es bei irgendwas an der Ausstellung hapert«, sagte ich, »werde ich dir nicht glauben, denn ich bin gerade hier, und alles läuft tadellos.«
»Natürlich läuft alles tadellos. Was dir zu verdanken ist. Ich rufe aber wegen was anderem an. Etwas Wichtigerem.« Sie klang
Weitere Kostenlose Bücher