Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)
Turnschuhe hinab, als gäbe es gerade nichts Interessanteres. Sogar vor Fanny war es ihr ein wenig peinlich, über die Ereignisse der vergangenen Wochen und ihre Gefühle zu Jo zu sprechen. Plötzlich kam ihr der filmreife Traum von Liebe und Glück, dem sie seit ihrer Jugend unbeirrt nachhing, ziemlich albern vor. Die große Liebe ohne Wenn und Aber, die absolut harmonische Beziehung, gegenseitige Treue bis in den Tod, keinerlei Hindernisse beim Kennenlernen, die Seelenverwandtschaft zweier Menschen, Männer ohne unangenehme Eigenschaften – gab’s das vielleicht wirklich nur im Film? Schließlich hatte keine ihrer bisherigen Beziehungen diesem Ideal wirklich standhalten können. Was dazu geführt hatte, dass sie meist nach ein paar Monaten wieder in die Brüche gegangen waren.
»Jetzt setz dich her und spann mich nicht länger auf die Folter, Madl. Das verkraftet mein altes Herz nämlich gar nicht mehr so gut.« Die Großmutter klopfte mit der Hand auf das Polster des Sessels neben sich und lehnte sich gemütlich zurück wie zu einer Märchenstunde.
Eigentlich war sie es ja, die ab und zu den Kindern in der Nachbarschaft Märchen vorlas. Allerdings veränderte sie dabei gerne mal das eine oder andere Detail, sodass Dornröschen sich plötzlich selbst aus der Dornenhecke befreite oder Rapunzel sich die langen Haare abschnitt.
»Selbst ist die Frau. Kinder können das gar nicht früh genug lernen«, meinte Fanny immer nur, wenn die Eltern sich beschwerten, dass sie deutsches Kulturgut zerstöre. Sie ließ sich von niemandem, nicht mal von den Gebrüdern Grimm, vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen hatte.
Kein schlechtes Vorbild, dachte Emma und begann in aller Ausführlichkeit zu erzählen. Von dem ereignisreichen Abend bei dem Bavaria-Empfang und ihrem prinzessinnengleichen Auftritt dort. Von dem versehentlichen Fußtritt, der ausgerechnet Jo traf, und dem anschließenden Gespräch, das zu einer folgenschweren Fehlinformation geführt hatte. »Und jetzt weiß ich gar nicht, ob ich mir wünschen soll, dass er mich anruft. Oder ob es besser wäre, wenn er sich gar nicht mehr meldet. Schließlich bin ich ja überhaupt keine Schauspielerin. Und werde auch nie eine sein.«
»Dann wart doch einfach ab, was passiert. Du kannst doch im Moment eh nichts machen. Es wird schon so kommen, wie es kommen soll.« Eigentlich war der Verweis auf das Schicksal eher Emmas Part. »Und wenn er dich als Schneiderin nicht mag, ist er sowieso nicht der Richtige. Am besten sagst du ihm gleich die Wahrheit, wenn du ihn das nächste Mal siehst. Dann wirst du ja erleben, wie er reagiert.«
Vielen Dank fürs Gespräch. Erstens war gar nicht klar, ob es ein nächstes Mal überhaupt geben würde. Und zweitens musste man sich nur Marisas und Christophers Manhattan Love Story vor Augen führen, um zu wissen, dass es beim nächsten Mal viel zu früh dafür war. Der richtige Zeitpunkt wäre vermutlich nach einer gemeinsamen Nacht. Falls es die je geben sollte …
Ein aufforderndes Klingeln an Fannys Wohnungstür riss sie unsanft aus ihren Gedanken.
»O nein, nicht auch noch am Sonntagabend«, stöhnte die Großmutter und erhob sich geradezu provokant langsam, um zu öffnen.
»Frau Lechner, ich muss Sie leider darauf aufmerksam machen, dass Ihre Sachen im Keller immer noch den gesamten Gang blockieren«, hörte Emma deutlich bis in die Küche.
»Wie bitte?«, antwortete ihre Oma viel zu laut, »können Sie das noch mal wiederholen?«
»Ihre Flaschen und Gläser!« Jetzt brüllte der Nachbar. »Sie versperren den Gang!«
»Taschen?«, bekam er seelenruhig zur Antwort. »Welche Taschen?«
»Nicht T-aschen! Fl-aschen!!!!«
»Ich habe keine Taschen, tut mir leid, Herr Jung. Da müssen Sie jemand anderen fragen.« Sprach’s und schloss einfach die Tür.
Zumindest war jetzt klar, woher Emma den Hang zum Schwindeln hatte. Das musste genetisch bedingt sein. »War um darfst du eigentlich dem Oberstudienrat vorspielen, dass du fast taub bist, und ich muss Jo unbedingt die Wahrheit sagen?«
»Das sind doch zwei völlig verschiedene Paar Stiefel, Spatzerl. Ich bin ja nicht in den Jung verliebt und möchte mit ihm eine Familie gründen, alt werden und das alles. Ich will dem alten Spießer nur zeigen, dass es wirklich Wichtigeres gibt, worüber man sich aufregen kann.«
Als Emma an diesem Abend ihre Oma verließ, war sie nicht ruhiger als zuvor. Dass sie den Schwindel mit der Schauspielerei Jo gegenüber nicht ewig aufrechterhalten konnte,
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