Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)
Geringsten ging, wurde ihr sehr bald klar. Sie musste sich vor den Entscheidungsträgern mal zur einen und mal zur anderen Seite drehen, näher kommen oder zurücktreten. Die Dame ohne Namen erklärte dabei, warum der Markenname auf der linken Brustseite platziert worden war und dass der Farbton des Oberteils exakt auf das Firmenlogo abgestimmt sei.
»Aber auf einer so großen Fläche wirkt das Blau dann doch ziemlich dunkel, finden Sie nicht?«, meinte einer der Herren, während Emma erschrocken an sich hinuntersah. So groß war ihr Oberkörper nun auch wieder nicht.
»Natürlich können wir den Ton jederzeit um eine oder mehrere Nuancen heller machen. Ganz wie Sie wünschen«, antwortete die Klamottenfrau eilfertig, »Sie könnten sich auch noch das Alternativoutfit ansehen und danach entscheiden. Moment.«
Sie gab Emma einen Wink – schon verstanden, das war der Moment für die Zweier. Blitzschnell zog sie sich um und stand kurz darauf in einem hellblauen Kapuzenshirt mit »Yogilight«-Schriftzug vor der Jury. Ihrer Einschätzung nach hatte sich kaum etwas verändert, doch die Chefs schienen enorme Unterschiede zum ersten Outfit festzustellen.
»Das entspricht nun wieder so gar nicht unseren Vorstellungen«, meinte der eine und lehnte sich herablassend zurück.
»Ganz meine Meinung. Die andere Variante war wirklich deutlich besser«, beeilte sich die Kostümdame zu sagen und scheuchte Emma zurück, um möglichst schnell den vorherigen Zustand wiederherzustellen. Und schon stand sie wieder in Langarm- und Poloshirt vor der Altherrenriege. Die wusste allerdings immer noch nicht so genau, was sie wollte.
»Also dieser Farbton … Ich weiß nicht«, meinte der jüngste, der Emma ein wenig an einen der Grauen Herren aus Momo erinnerte. »Einerseits kommt dieses Blau in seiner Gesamtheit doch sehr, sehr kräftig rüber. Andererseits würde eine hellere Nuance den blassen Teint nur noch verstärken.« Etwas eigenartig kam sich Emma schon vor, wie da seit etwa einer halben Stunde ihr Aussehen diskutiert wurde, als wäre sie Luft.
»Das widerspräche auch ganz klar unserer Werbebotschaft«, stimmte ein älterer zu, »schließlich ist ›Yogilight‹ ein Produkt, das gesund ist und den Körper mobilisiert. Das muss man sehen!«
Während die Herren untereinander und mit der Kostümdame diskutierten, ob man die helle Farbe des Shirts oder eher Emmas blasses Gesicht austauschen sollte, ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. Ihre Rolle als Schauspielerin hatte sie sich jedenfalls bedeutsamer vorgestellt. Stattdessen wurde jede Entscheidung über ihren Kopf hinweg getroffen, sie wurde nicht einmal gefragt. Jetzt sprachen sie darüber, den Dreh eventuell zu verschieben, um eine neue Darstellerin suchen zu können. Hatten die noch alle Tassen im Schrank? Dann wäre ja alles umsonst gewesen!
Emma erinnerte sich an Fannys Dornröschen, das nicht gemütlich schlafend auf den Prinzen wartete, sondern sich selbst aus der Rosenhecke befreite. Vielleicht sollte sie der Diskussion endlich ein Ende bereiten? Möglichkeiten, das Shirt zu verändern, gab es genügend. »Man könnte zum Beispiel nur den Kragen etwas dunkler oder auch in einer ganz anderen Farbe machen«, dachte sie und merkte erst dann, dass sie den Satz laut ausgesprochen hatte.
Abrupt wandten die Namenlose und sämtliche Grauen Herren die Köpfe zu Emma um. Ersterer war die Entrüstung deutlich anzusehen, Letztere wirkten erstaunt. Am erschrockensten war jedoch Emma selbst. Schließlich war es keinesfalls ihre Aufgabe, die obersten Chefs in Modefragen zu beraten.
»Da hat wohl jemand Angst, den Auftrag zu verlieren«, meinte prompt die Kostümfrau spitz. »Ich denke, die Herren wissen schon, was sie tun. Bitte misch dich nicht ein.« Sie schob Emma in Richtung Paravent und zeigte deutlich, dass für sie die Angelegenheit erledigt war.
»Einen Moment, bitte«, kam es da aus den Jurorensesseln, »würden Sie das noch einmal wiederholen, Mädchen?« Damit konnte nur Emma gemeint sein, auch wenn die Aufforderung so streng klang, dass sie am liebsten die Flucht ergriffen hätte. Es war ein Gefühl wie beim morgendlichen Ausfragen in der Schule, nämlich, es in jedem Fall und unweigerlich falsch zu machen. Emma war nur in den künstlerischen Fächern gut gewesen, Mathematik, Chemie oder auch Geografie dagegen waren ihr immer ein Gräuel.
Genauso unsicher wie vor ihrem Erdkundelehrer stand sie jetzt den forschenden Blicken der Herren gegenüber, die nicht erkennen
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