Verliebt, verlobt und eingesargt
und streichelte mit ihrer linken Hand meine Wange. Die rechte hatte sie bisher noch hinter dem Rücken versteckt gehalten, doch nun zog sie Arm und Hand hervor.
»Ich habe dir etwas mitgebracht, John!« sagte sie mit kalter veränderter Stimme, beugte sich vor, der rechte Arm beschrieb einen Halbkreis, und ich sah etwas blitzen. Es war die Klinge eines zweischneidigen Messers, deren flache Seite sie dicht unter meinem Kinn gegen die weiche Haut am Hals preßte…
***
Ich blieb still liegen, spürte die Kälte des Metalls, schaute in das Gesicht dieses Engels, der sich als Teufel entpuppt hatte, und atmete nur durch die Nase.
Ich hatte nicht einmal einen Schreck bekommen, ich lag einfach da und rührte mich nicht. Ebensogut hätte mir Susy auch einen Löffelstiel gegen den Hals drücken können. Es wäre die gleiche Wirkung gewesen. Sie starrte mich an. Diesmal hatten sich ihre Augen verändert. Die Pupillen erstrahlten in einem kalten Blau. Fast wie beim Firneis eines Gletschers, und sie bewegte beim Sprechen die Lippen nur ein wenig.
»Hallo, Liebling, was sagst du jetzt?«
»Nichts«, hauchte ich.
Sie kicherte. »Das kann ich mir vorstellen. Nichts, sagst du. Ich habe damit gerechnet. Du bist gekommen, um mich reinzulegen, um mich zu fangen. Mutter hat es mir gesagt. Sie hatte recht. Ich darf euch allen nicht trauen.«
»Mutter?«
Susy nickte. »Ja, meine Mutter. Eine bedeutende Frau. Sie war eine herrliche Person, sie hat mir viel beigebracht, denn sie kannte das Leben wie kaum eine zweite. Sie war so gut drauf, sie hat alles getan, sie ist für mich der Retter in der Not bei all meinen Problemen gewesen, das kannst du mir glauben.«
Ich bekam wieder etwas klarere Momente, deshalb hatte ich auch ihre Worte begreifen können. »Du hängst sehr an ihr. War sie dein Vorbild?«
»Und wie!«
»Wo ist sie jetzt?«
Susys Augen wurden noch größer und runder. Sie schien nachzudenken, und sie war auch leicht zusammengezuckt. Dabei hatte sie ein Bewegen der Klinge nicht vermeiden können. Der Stahl strich über meinen Hals und schnitt in das Fleisch. Aus der winzigen Wunde quoll Blut. Ich sah einen Tropfen über die flache Klinge gleiten.
»Sie will dich kennenlernen, John.«
Ich schloß für einen Moment die Augen, weil sich wieder ein Druck in meinem Kopf ausbreitete. »Mich? Aber warum?«
»Sie will jeden sehen, der sich in meiner Nähe befindet.«
»Hat sie auch andere gesehen?«
»Natürlich.«
»Und?«
Vor mir verzog Susy das Gesicht zu einem weinerlich wirkenden Lächeln. »Sie mochte all meine Freunde nicht. Nein, sie war nicht damit einverstanden.«
»Was hat sie getan?«
»Nichts, Liebling.«
»Aber deine Freunde leben nicht mehr.«
Da lachte sie und stieß den freien Arm in die Höhe. »Ja, du hast recht. Sie alle leben nicht mehr. Ich habe sie umgebracht. Mutter wollte es so. Sie sagte mir immer, nein, mein kleiner Schatz, das ist nichts für dich, wirklich nicht.«
»Hat sie die Männer gesehen?«
»Jaaa…«, antwortete Susy vor mir sehr überzeugend. »Das hat sie natürlich. Sie kannte jeden von ihnen. Ich habe sie ihr immer vorgestellt. Wir waren ja verliebt.«
»Und verlobt, nicht?«
»Du hast dich gut informiert, John. Nicht nur verliebt und verlobt, sie wurden auch eingesargt. Ich habe wirklich für sie gesorgt, so wie Mutter es mir befahl.«
Die Lähmung oder Apathie blieb, aber meine Gedanken arbeiteten wieder klar. Ich stellte mir die Frage, ob ich hier eine Wahnsinnige oder eine von einem Dämon besessene Person vor mir hatte. Vielleicht sogar beides, denn wer sich mit einem Dämon einließ, der war in gewisser Hinsicht wahnsinnig.
»Dann gab dir die Mutter die Mordaufträge?«
»Nicht nur das, sie warnte mich auch. Sie hat einen guten Blick, ein Zweites Gesicht.«
»Wovor warnte sie dich?« fragte ich flüsternd und spürte, wie sich in meinem Nacken der Schweiß sammelte.
»Vor dir, zum Beispiel.«
»Wußte sie denn, daß ich kommen würde?«
»Mutter weiß alles.«
»Woher?«
»Sie ist eben eine besondere Person.«
»Kannst du das Messer nicht wegnehmen?« fragte ich. »Ich habe es nicht gern, wenn…«
»Nein, ich will nicht!« kreischte sie und zuckte zusammen, so daß ich Furcht davor bekam, sie könnte in meinen Hals schneiden. »Meine Mutter hat mir gesagt, ich soll mich vor dir in acht nehmen. Du bist ein gefährlicher Mensch.«
»Das scheint nur so.«
»Doch, ich muß auf sie hören. Ich höre immer auf sie.«
»Auch jetzt?« fragte ich
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