Verliebt, Verrückt, Verheiratet: Roman
musste sie dem Drang widerstehen, sich an seine Brust zu werfen.
»Meine arme Lilly«, sagte er sanft. »Du hast dir das Leben noch schwerer gemacht als ich mir.«
Sie fragte nicht, woher er das wusste, aber wie sie so vor dem wundersamen, unvollendeten Gemälde stand und die tröstende Hand auf ihrer Schulter fühlte, begriff sie, dass dieser Mann sich in all seinen Gemälden widerspiegelte - seine wütende Intensität, seine Intelligenz, seine Ernsthaftigkeit und seine Gefühle, die er mit aller Macht zu verstecken suchte. Im Gegensatz zu ihr war Liam Jenner eins mit seiner Arbeit.
»Setz dich«, murmelte er. »Grad so, wie du bist.« Sie ließ sich von ihm zu einem einfachen hölzernen Stuhl auf der anderen Seite des Raumes führen. Er streichelte ihre Schulter, trat einen Schritt zurück und nahm sich eine der leeren Leinwände neben seinem Arbeitstisch. In Gegenwart jedes anderen Mannes wäre sie sich manipuliert vorgekommen, aber Manipulation würde ihm gar nicht in den Sinn kommen. Er war einfach überwältigt von seinem Schaffensdrang, und aus irgendeinem unbegreiflichen Grund hatte das auch etwas mit ihr zu tun.
Es war ihr egal. Stattdessen betrachtete sie die Madonna mit Kind und dachte über ihr Leben nach, das in so vieler Hinsicht reich gesegnet und in anderer Hinsicht wiederum trist und leer war. Anstatt sich auf ihre Verluste zu konzentrieren - ihren Sohn, ihre Identität, ihren Ehemann, den sie zugleich geliebt und gehasst hatte - dachte sie an alles, was ihr geschenkt worden war. Sie war mit einem scharfen Verstand gesegnet zusammen mit der intellektuellen Neugierde, ihn auch zu gebrauchen. Sie hatte ein schönes Gesicht und einen schönen Körper gehabt, als sie beides dringend brauchte. Was machte es also, wenn diese Schönheit verblasst war? Hier an diesem See im Norden von Michigan schien das alles nicht mehr so wichtig.
Während ihr Blick auf der Madonna ruhte, geschah plötzlich
etwas. Sie sah ihren Kräutergarten an Stelle von Liams Gemälde und begriff, was ihr bislang verborgen geblieben war. Der Kräutergarten war ein Gleichnis für die Frau, die jetzt in ihrem Inneren lebte - eine reifere Frau, die heilen und pflegen wollte anstatt zu verführen, eine Frau der zarten Töne an Stelle von strahlender Schönheit. Sie war nicht mehr dieselbe, aber sie konnte den Menschen, der aus ihr geworden war, noch nicht ganz begreifen. Und der Quilt schien die Antwort darauf zu bewahren.
Die Finger in ihrem Schoß begannen zu zucken, als sie von einem wahren Energieschub durchflutet wurde. Sie brauchte ihren Nähkorb und ihre Stoffkiste. Sie brauchte sie jetzt! Wenn sie sie hätte - jetzt und hier sofort! -, könnte sie den Pfad finden, der ihr Innerstes erschließen würde. Sie sprang vom Stuhl auf. »Ich muss gehen.«
Er war so völlig in seine Arbeit versunken, dass er im ersten Moment überhaupt nicht zu verstehen schien, was sie gesagt hatte. Dann verzog sich sein zerfurchtes Gesicht zu einer fast schmerzvollen Miene. »Oh Gott, das kannst du nicht tun.«
»Bitte. Ich mach kein Theater. Ich muss - ich komme gleich wieder. Ich muss nur etwas aus meinem Wagen holen.«
Er trat von der Staffelei weg. Seine Hand, mit der er sich durch die Haare fuhr, hinterließ einen Fleck auf seiner Stirn.
»Ich hole es für dich.«
»In meinem Kofferraum ist ein Korb. Nein, ich brauche die Schachtel daneben. Ich brauche - am besten gehen wir zusammen.«
Sie rannten über den Steg, beide erpicht darauf, es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, damit sie zu den wirklich entscheidenden Dingen zurückkehren konnten. Ihr Atem ging stoßweise, als sie die Treppe hinunterraste. Sie suchte nach der Handtasche, in der sich ihre Schlüssel befanden, aber konnte sie nirgends finden.
»Warum, zum Teufel, hast du dein Auto abgeschlossen?«, brüllte er. »Wir sind hier am verdammten Ende der Welt!«
»Ich wohne in L. A.!«, schrie sie zurück.
»Hier!« Er schnappte die Handtasche, die unter einem der Tische lag, und begann darin herumzukramen.
»Gib sie mir!« Sie riss ihm die Tasche weg und begann selbst zu suchen.
»Beeil dich!« Er packte ihren Ellenbogen, schob sie in Richtung Haustür und die Stufen hinunter. Unterwegs fand sie die Schlüssel. Sie machte sich von ihm los und drückte die Fernbedienung, die den Kofferraum öffnete.
Fast hätte sie vor Erleichterung geweint, als sie nach dem Nähkorb griff und ihm die Kiste mit den Stoffen in die Hand drückte. Er warf kaum einen Blick darauf.
Sie
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