Verliebte Abenteuer
Holyhead noch einmal etwas sagen konnte, war William Ashborne schon aus dem Zimmer. Entgeistert blickte der Verleger auf die Tür, die zugefallen war, dann sank er in seinen Sessel und schob die Schriftstücke auf dem Schreibtisch brüsk zur Seite. Der Mann hat total durchgedreht, dachte er. Hat da ein Mädel kennengelernt, und jetzt steht er kopf und weiß nicht mehr, wo seine Beine sind. Wie komisch er überhaupt ausgesehen hat. Momentan hatte ich ihn sogar überhaupt nicht erkannt. Der fremde Bart. Die Fensterglasbrille. Wie gesagt, verrückt das Ganze.
Plötzlich kam dem Verleger ein Gedanke: Ashborne hat da ein tolles Abenteuer hinter sich. Wenn er das niederschreiben würde, entstünde daraus ein Buch, über das man lachen könnte. Nach all der lyrischen Verstiegenheit endlich ein Roman mitten aus dem Leben.
Wie ein Gummiball sprang Holyhead in die Höhe und ließ sich mit Invergarry verbinden, um den Leuten auf dem Schloß zu sagen, daß sich der Lord sofort nach seinem Eintreffen wieder mit ihm, seinem Verleger, in Verbindung setzen möge.
»Wir wissen nicht, wo er sich aufhält«, antwortete der alte Diener am Telefon. »Er wird immer noch gesucht.«
»Früher oder später wird er bei Ihnen auftauchen«, versicherte der Verleger. »Vor einer Viertelstunde noch war er bei mir. Dann entwischte er mir allerdings.«
Dies vernehmen, den Hörer auf die Gabel werfen und Lady Abbot in Brighton anrufen war für den alten Diener eins.
»Mylady«, stammelte er mit freudetrunkener Stimme, »Lord Ashborne befindet sich in London. Soeben erhielt ich die Nachricht.«
Lady Abbot hielt den Atem an und winkte Loretta, die mit großen Augen auf der Couch saß, zu sich heran.
»Die erste neue Spur«, sagte die Tante, als sie aufgelegt hatte. »Er war bei seinem Verleger in London. Der kann uns bestimmt noch mehr sagen. Mit dem nächsten Zug fahren wir nach London, Baby.«
Was dann ablief, war eine Jagd nach William. In London erfuhren sie, daß William die Absicht geäußert habe, sein ferneres Leben in ländlicher Einsamkeit zu verbringen. Das war immerhin schon ein Anhaltspunkt, mit dem konkret zwar noch nicht viel anzufangen war, der aber an sich gewisse Aufschlüsse zuließ. Nur einer kannte sich plötzlich mit völliger Klarheit aus – Percy Bishop. Er kam auf den richtigen Gedanken, behielt ihn jedoch für sich, sogar auch Bebsy gegenüber. Eines Abends war er verschwunden und hatte auf Bebsys Kopfkissen nur einen Zettel hinterlassen:
»Ich komme bald wieder. Sucht mich nicht. Ich werde Lord Ashborne auftreiben. Ich glaube zu wissen, wo er ist. Wenn ich ihn gefunden habe, gebe ich sofort Nachricht. Aber folgt mir bitte nicht, sondern wartet ab, was ich euch mitteile. Percy Bishop.«
Diese Zeilen erregten großes Aufsehen. Tante Mary, die inzwischen wieder in Aberdeen, zusammen mit Loretta, aufgetaucht war, nannte alle Männer Windhunde, denen man jedes Futter und jede Pflege verweigern müßte, brüllte die heulende Bebsy an und zerstörte den Butler restlos am Boden, indem sie ihn wieder einen Idioten nannte, der doch gemerkt haben müßte, daß weder Lord Ashborne ein Kutscher sei, noch Percy Bishop ein Gärtner.
Aber was half das alles? Loretta teilte der Oper mit, daß sie nicht wieder auftreten werde, bis Lord Ashborne gefunden sei. Die Direktoren rauften sich die Haare. Brüllend lief der Generalintendant herum, und auch der Kapellmeister verlor die Contenance. Lord Ashborne mußte her, sonst war ein Skandal unabwendbar, unter dessen Eindruck ganz England vier Wochen lang stehen würde.
Aber wo sollte man den Vermißten suchen? Die britische Insel ist zwar nicht groß, doch sie bietet dennoch ungezählte Unterschlupfmöglichkeiten, wenn jemand entschlossen ist, sich zu verbergen. Und wer sagte denn überhaupt, daß Ashborne noch im Lande war? Konnte er nicht nach Calais hinübergefahren sein, um auf dem europäischen Kontinent unterzutauchen? Ihn dort zu suchen, war völlig aussichtslos, zumal sich die Polizei nach Kenntnisnahme der wahren Hintergründe von der Sache zurückzog. Was ging Scotland Yard eine Liebesaffäre an? Wenn ein Mann freiwillig ins Dunkel ging, war das seine Privatangelegenheit. Außerdem – und das war das Ausschlaggebendste – bat endlich auch Lord Ashborne selbst schriftlich Scotland Yard darum, ihn nicht weiter zu suchen, da er sich aus Gründen, in die niemand seine Nase hineinzustecken habe, aus der Öffentlichkeit zurückzöge.
Der Brief war abgestempelt im Leicester.
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