Verlockend untot
schien Pritkin vorzuhaben, denn er sprang plötzlich auf und stürzte Caleb entgegen, verharrte jedoch, als sich meine Finger um seine Hand schlossen.
Es war also doch eine gute Idee gewesen, die Hand festzuhalten.
»Das ist der falsche Zeitpunkt, Caleb«, sagte ich knapp.
Er nickte und schien ein wenig erschrocken zu sein. Vielleicht hatte er dieses besondere Knurren auch noch nie gehört. Ich mühte mich auf die Beine.
Eigentlich hatte ich wegen Pritkin nach der Dusche gefragt, denn er sah aus, als könnte er jede Menge heißes Wasser gebrauchen. Aber es kam ganz offensichtlich nicht infrage, Caleb und ihn allein zu lassen. Außerdem befürchtete ich, dass der üble Geruch im Zimmer nicht nur vom Sofa ausging.
Pritkin zog die graue Jogginghose an, wodurch sie sofort den Status »sauber« verlor und ich die Decke für mich allein hatte. Ich wickelte sie um mich, bis ich einigermaßen sicher sein konnte, dass ich niemanden in Verlegenheit bringen würde, nahm Calebs Tee und warf einen Blick durch die Tür.
Zum Glück war der Flur so leer, wie man es so spät in der Nacht beziehungsweise so früh am Morgen erwarten durfte. Es gab nicht einmal einen Hausmeister, der einen Mop vor sich herschob, nur einen Schemen hinter einer Mattglastür, jemanden, der in der Sporthalle seine Runden drehte. Es war keine richtige Sporthalle in dem Sinne, sondern ein von Speerholzplatten abgetrennter Bereich mit einer Laufbahn, mehreren Laufbändern und jeder Menge Eisen in Form von Gewichten an den Wänden.
Ein Elf würde da drin durchdrehen,
dachte ich, was meine Stimmung ein wenig hob.
Wir gingen an einer Reihe von Spinden vorbei nach hinten, wo sich die sanitären Anlagen befanden, für Männer und Frauen getrennt. Pritkin gab mir ein Handtuch und eine Quetschflasche, die etwas enthielt, das nach nichts roch, aber vermutlich Seife war – beides stammte aus seinem Spind. Ich bedankte mich, er sagte nichts, und wir gingen getrennte Wege.
Der Duschteil des Badezimmers war, wie auch der Rest, extrem einfach und zweckmäßig. Ich schätze, das ergab durchaus einen Sinn. Bis vor einem Monat hatte sich das Hauptquartier des Korps im Gebäude von MAGIE befunden, der Metaphysischen Allianz für Größere Interspezies-Erneuerung, gewissermaßen das übernatürliche Äquivalent der UN. Doch dann hatte der Krieg das Gebäude zerstört und nur glasierten Sand übrig gelassen. Das Korps war also gezwungen gewesen, sich nach einem neuen Zuhause umzuschauen, und na klar, es hatte etwas gefunden, das kaum spartanischer sein konnte.
Es gab keine Duschkabinen – Privatsphäre war ja so mädchenhaft –, nur ein Dutzend Duschköpfe und einen geneigten Boden mit einem Abfluss in der Mitte. Die Fliesen waren weiß, und die Armaturen glänzten, aber nur, weil sie neu waren. Ich bezweifelte, dass das Lagerhaus für Schuhe mit so großen Badezimmern ausgestattet gewesen war; mit ziemlicher Sicherheit handelte es sich um eine Erweiterung oder Umbau. Doch obwohl alles neu war, schaffte es dieser Ort, hässliche Unpersönlichkeit zu vermitteln.
Ich schrubbte und schrubbte, und dann schrubbte ich noch etwas mehr, und anschließend nahm ich mir mein Haar vor, da die Seife auch als Shampoo zu taugen schien. Vielleicht würde es mir diesmal gelingen, die grünen Strähnen herauszuwaschen, zusammen mit all dem Schmutz.
Ich hätte Pritkin um ein besonderes Mittel dafür bitten
sollen,
dachte ich erschöpft und stützte den Kopf an die nasse Wand.
Ich fühlte mich fix und fertig, völlig ausgelaugt. Außerdem war mir kalt und übel – eine ähnliche Übelkeit empfand ich, wenn ich Billy zu sehr gefüttert hatte. Ich war nicht vollkommen leer – Pritkin hatte mir nicht meine ganze Kraft genommen. Bei Billy hatte ich mich sogar einige Male schlechter gefühlt als jetzt, aber bei ihm war es nie vorgekommen, dass ich mich schuldig gefühlt hatte.
Und genau darauf lief es hinaus: Ich fühlte mich schuldig. Es war kein überwältigendes, lähmendes, niederschmetterndes Schuld-gefühl, aber es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass es sich tatsächlich um Schuld handelte. Einschlägige Erfahrungen in der Vergangenheit ermöglichten mir eine sichere Identifizierung. Aber der Grund blieb mir schleierhaft.
Pritkin und ich waren uns nicht zum ersten Mal so nahegekommen – es war das zweite Mal. Das erste Mal lag einen Monat zurück, während des letzten Kampfes gegen Apollo. Pritkin war schwer verletzt gewesen, und seine Inkubus-Fähigkeiten hatten ihn
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