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Verlockend untot

Verlockend untot

Titel: Verlockend untot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Chance
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dick wie eine Faust, zerrte an mir und versuchte, mich wegzuziehen an einen anderen Ort.
    Mircea sprach und sagte vermutlich etwas, das gleichzeitig logisch, vernünftig und auch charmant klang, und unter anderen Umständen hätte er mich vielleicht überzeugt, aber ich war viel zu beschäftigt, um ihm zuzuhören. Und dann wurde aus dem Zerren ein Reißen, und es war plötzlich wieder wie in der Zeit, bevor ich zur Pythia geworden war, als mich die Macht hin und her geworfen hatte, wo auch immer sie mich brauchte. Und diesmal schien sie mich sehr dringend zu brauchen, denn sosehr ich mich auch sträubte, es hatte keinen Zweck.
    Mircea musste schließlich bemerkt haben, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging, denn er ergriff mich an den Schultern. »Cassie! Was ist los, Cassie?«
    »Vorwarnung«, brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Denn seine Hände hielten mich an den Armen, und wenn ich sprang, bevor er losließ, kam er mit, ob es ihm gefiel oder nicht.
    »Was?«
    »Vorwarnung!«, rief ich und versuchte, mich aus seinem Griff zu lösen. Ich wusste nicht, wohin mich meine Macht bringen wollte, aber nach der Intensität des Zerrens und Reißens zu urteilen, erwartete uns kein Freudenfest. »Lass los!«, forderte ich Mircea auf, aber seine Hände schlossen sich nur noch fester um meine Arme.
    Und im nächsten Moment waren wir weg.

Fünfunddreißig
    Die Zeit wirbelte, Farben flossen ineinander, und ich hatte plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen. Und dann, ebenso plötzlich, fiel ich auf den Schoß eines Mannes, der einen Smoking trug und in einem der kultigen schwarzen Londoner Taxis saß. Ich starrte ihn an, und er starrte zurück, die braunen Augen groß und verdutzt.
    Nach einer Sekunde lehnte ich mich zurück und sah ihn mir genauer an.
    Sein Smoking verriet mir nicht viel, aber die verblüffte Frau, die seinen Arm umklammerte, hatte einen niedlichen Bubikopf und ein flattriges Chiffonkleid, das praktisch geschminkte Knie erforderte.
    »Die Zwanziger?«, vermutete ich, denn aus irgendeinem Grund war mein Zeitgefühl durcheinandergeraten.
    »Sechziger«, sagte Mircea und blickte aus dem Rückfenster, während das Taxi durch dichten Verkehr kroch.
    Ich rutschte ein wenig zur Seite, damit ich nicht direkt rittlings auf dem Burschen saß. »Woher willst du das wissen?«
    »In den Zwanzigerjahren gab es keine Miniröcke.« Er nickte in Richtung einiger kichernder Mädchen auf der Rückbank, die ziemlich knapp bekleidet waren.
    »Bist du sicher?«
    »Glaub mir, Dulceata, das Erscheinen des Minirocks hat sich mir fest ins Gedächtnis eingebrannt.«
    Ich schnitt eine finstere Grimasse. Na klar. Doch angesichts der besonderen Umstände brauchte ich eine Bestätigung. Ich stieß eins der Mädchen an, das zusammenzuckte und kurz kreischte.
    »Welches Jahr haben wir?«, fragte ich, aber die Unbekannte sah mich nur groß an.
    »Che anno è?«, wiederholte ich auf Italienisch.
    Keine Reaktion.
    »En quelle annee sommes-nous?«
    Nichts.
    »Was machst du da?«, fragte Mircea.
    »Ich glaube, sie sprechen kein Englisch.«
    »Ich halte es fiir wahrscheinlicher, dass sie einfach nur sprachlos vor Überraschung sind.«
    »Na schön. Aber inzwischen hatten sie Zeit genug, sich von ihrer Überraschung zu erholen, oder?«
    »N-neunzehnhundert… n-neunundsechzig«, brachte die junge Frau schließlich hervor.
    Ich runzelte die Stirn. »Warum sind Sie dann so angezogen?«
    »Wir wollen zu einer Fancy-Dress-Party, wenn Sie's unbedingt wissen wollen«, sagte der junge Mann an ihrer Seite, als er seine Stimme wiederfand. »Wer zum Teufel sind Sie, und was …«
    »Da!«, rief Mircea und deutete auf etwas in der Menge draußen.
    »Danke für die Fahrt«, teilte ich den Partygängern mit, als wir über sie hinwegkletterten und aus dem Taxi stiegen.
    Draußen fielen Schneeflocken aus einem schwarzen Himmel, vergoldet vom Licht, das aus den Schaufenstern und von vielen bunten Werbeleuchten kam. Der Ort wies eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Times Square auf, war allerdings runder, und ein wie beschwipst wirkender Cupido sah über etwas hinweg, das nach Weihnachtshektik aussah. Netze aus Lämpchen, die Sterne bildeten, hingen über den Straßen und schaukelten ein wenig im Wind. Ein Kranz baumelte an einem nahen Laternenpfahl. Und viele der Leute, die auf den Bürgersteigen unterwegs waren und die Straße überquerten, trugen Einkaufstüten.
    Ich sah Mircea an. »Ist das …«
    Er nickte. »Piccadilly.«
    Das

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