Verlockend untot
Zauber nicht zu der Sorte gehörten, die betäuben sollte. Wo sie auf den Beton trafen, blieben große schwarze Brandflecken zurück. Sie ließen Funken von den Gleisen sprühen und wirbelten den Boden daneben auf; dichte Staubwolken entstanden.
Mircea fluchte und zog mich hinter sich, was in Ordnung gewesen wäre, wenn nicht eine Sekunde später ein Blitz nicht weit von uns entfernt in die Wand geschlagen wäre. Offenbar traf er eine elektrische Leitung, denn ein besonders großer Funkenregen stob durch den Tunnel, und einige Funken trafen mein Kleid. Mircea fluchte erneut und zog mich in die andere Richtung, in die Nähe des noch immer qualmenden Brandflecks vom ersten Zauber.
»Verschwinde!«, sagte Mircea rau.
Ich wandte den Blick vom Feuerwerk ab und starrte ihn an. »Wie bitte?«
»Spring weg von hier! Sofort!«
Ich schüttelte den Kopf. »Das haben wir bereits besprochen.
Wenn die Angreifer meine Mutter töten, bin ich erledigt. Warum hat mich meine Macht wohl hierhergebracht?«
»Ich kümmere mich darum!«
»Das kannst du nicht! Mircea…«
Er stieß mich gegen die Wand, schirmte mich mit dem Körper ab – seine Augen reflektierten das Licht der Funken, und außerdem zeigte sich auch noch ein anderer, gefährlicher Glanz in ihnen.
»Warum machst du das?«
»Weil ich nicht weiß, wie ich deine Sicherheit gewährleisten soll.«
»Das erwarte ich gar nicht von dir.«
»Was?« Er sah mich an, als befürchtete er, ich hätte den Verstand verloren.
»Mircea! Seit drei Tagen versuchen diese Mistkerle, mich zu töten, und ich lebe noch!«
»Weil du Glück hattest!«
Ich sah ihn groß an. »Dann muss ich enorm Schwein gehabt haben!«
Sein Blick durchbohrte mich, und sein Gesicht trug einen Ausdruck, den ich darin nie zuvor gesehen hatte, als stünde er kurz davor, vollkommen auszurasten. In ihm gab es einen Konflikt, den ich nicht ganz verstand, und mir fehlte die Zeit, ihm auf den Grund zu gehen.
»Ich muss das in Ordnung bringen«, sagte ich so ruhig und vernünftig wie möglich. »Wenn du mir helfen willst, dann hilf mir. Versuch nicht, mich abzuschirmen oder zu schützen, und schick mich erst recht nicht weg. Hilf mir.«
Er starrte mich noch einen Moment länger an, und ich rührte mich nicht von der Stelle. Der Kampf tobte heftiger, entfernte sich dabei von uns und eskalierte in Richtung Bahnsteig, wo viele Menschen auf den nächsten Zug warteten. Ich bezweifelte, dass sich die Spartoi darum scherten, wie viele Leute sie umbrachten – Hauptsache, meine Mutter befand sich unter den Opfern.
»Mircea, bitte!«
»Was brauchst du?« Es klang fast schroff.
»Ich muss sie berühren. Mehr ist nicht nötig. Eine Sekunde, und wir sind weg, wir alle. Und dann ist es vorbei.«
Er nickte kurz und ließ mich los.
Ich stieß mich von der Wand ab, trat in den Tunnel und versuchte, einen Blick auf meine Mutter zu erhaschen. Ich musste sie nur für eine Sekunde berühren, um mit ihr zu springen, aber ich konnte nicht einfach neben ihr erscheinen. Sprünge durch den Raum er-forderten klare Sicht auf das Ziel; andernfalls riskierte ich, in einer Wand, in der Decke oder als Teil eines Magiers zu erscheinen.
Derzeit sah ich gar nichts.
Mit Ausnahme von wogenden Staubwolken, gleißenden Zauberblitzen … und dem irren Kidnapper, der aus all dem Durcheinander kam und Zeter und Mordio schrie.
Er hielt direkt auf uns zu, aber diesmal lief er nicht. Er und meine Mama schwebten auf etwas, das ich wegen ihrer wehenden Mäntel nicht sehen konnte. Dafür fühlte ich es, als es versuchte, sich mir in den Bauch zu bohren, mich von den Beinen riss und mit sich durch den Tunnel trug.
Jetzt gab es zwei, die aus vollem Hals schrien, der Magier und ich, als wir durch die Dunkelheit rasten. Er versuchte, mich von Bord zu stoßen, und ich klammerte mich fest und trachtete danach, den Arm weiter nach hinten auszustrecken, meine Mutter zu berühren …
Entweder begriff er, was ich beabsichtigte, oder er war der schlechteste Fahrer aller Zeiten. Wir schlingerten im engen Tunnel von einer Seite zur anderen, prallten von den Wänden ab und schrammten über die Decke, während uns rote Blitze durch die Finsternis folgten. Und dann wurde er schlau, drehte uns kopfüber und ließ mich auf den harten Kies zwischen den Gleisen fallen.
Ich fluchte, rappelte mich auf und stellte fest, dass blendende Helligkeit die Dunkelheit aus dem Tunnel vertrieb. Schatten flohen über die Wände und verwirrten mich fast ebenso wie das
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