Verlockend untot
»Warum haben Sie grünes Haar?«
»Das ist die letzte Mode.«
»Es ist grässlich. Und selbst wenn Sie es nicht… gefärbt hätten, oder was auch immer … So geht es einfach nicht. Wir hatten noch nie eine blonde Pythia; so was erwarten die Leute nicht. Und ehrlich gesagt, es passt auch nicht zu Ihnen.«
»Es ist meine natürliche Farbe!«
»Sie ist trotzdem scheußlich. Und das hier…« Er zog an meinen Locken. »Das muss weg.«
»Wenn Sie mich noch einmal anfassen …«, sagte ich leise.
»Ich vereinbare für Sie einen Termin bei einem Friseur, der weiß, dass wir Charme und Kultiviertheit brauchen. Wir benötigen … nun, eigentlich jemand anderen, offen gesagt, aber …«
»Niall, ich schätze, das genügt für heute«, sagte Jonas und beobachtete mein Gesicht.
»Und was ist das?« Niall nahm das gute, gestärkte Taschentuch aus der Jackentasche und holte damit Pritkins Amulett unter meinem Shirt hervor. »Als ob das noch nicht genug wäre … Sie riecht auch noch.«
»Lassen Sie los«, sagte ich gefährlich ruhig.
»Oh, ich lasse los, ja«, erwiderte Niall grimmig und riss mir das Ding vom Hals. »Wenn ich den nächsten Abfalleimer gefunden habe. Dort werfe ich es hinein, zusammen mit dem anderen Krempel…«
»Meine Güte«, sagte Jonas.
Ich blinzelte und starrte dorthin, wo Niall eben noch gestanden hatte. Jetzt war die Stelle leer.
»Verdammt«, sagte einer der Vampire.
»Was ist passiert?«, fragte ich und fühlte Panik in mir aufsteigen, denn von Niall fehlte jede Spur.
»Ich schätze, da macht jemand eine kleine Reise«, sagte Jonas.
»Jonas! Was ist passiert?«
»Hm? Oh, nun, Sie wissen ja, dass Sie sich nicht nur in den drei Dimensionen des Raums bewegen können, sondern auch in der Zeit.
Was Sie vielleicht noch nicht wissen: Sie können auch andere Dinge bewegen. Und Personen.«
»Aber… wohin habe ich ihn geschickt?«
Hinter den dicken Brillengläsern waren seine Augen groß wie die einer Eule. Er blinzelte. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Können Sie ihn nicht sehen?«
»Ob ich …« Ich unterbrach mich, denn plötzlich konnte ich ihn sehen: einen wütenden kleinen Magier mitten in einer großen Wüste, einige hundert Meter abseits des schwarzen Asphaltbands einer Straße. Sonst gab es über viele Kilometer hinweg nur Staub und Gestrüpp.
»Ich glaube, er ist in einer Wüste.«
»Wissen Sie zufälligerweise, in welcher?«
»Ich… nein. Ich sehe eine Straße, aber…«
»Oh, schon gut. Dann ist ja alles in Ordnung.« Jonas klopfte mir auf den Arm.
»Jonas! Wie soll ich ihn zurückholen?«
»Oh, ja, Sie müssen ihn natürlich zurückholen, früher oder später.
Aber derzeit…« Seine Brillengläser glänzten. »Lassen Sie ihn zunächst, wo er ist. Auch Agnes musste das einige Male machen, wenn ich mich recht entsinne, mit seinem Vorgänger. Es eignet sich bestens, um solchen Leuten Manieren beizubringen.«
Er nahm meinen Arm, und wir gingen zur Tür, während sich mir noch immer der Kopf drehte. »Übrigens, Sie hatten nicht zufälligerweise irgendwelche Visionen von einem Wolf oder einem großen Hund?«
»Von einem Werwolf, meinen Sie?«
»Nein, nein. Ich glaube nicht. Es könnte natürlich sein, aber das wäre ein bisschen zu einfach, nicht wahr?«
»Ich … ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was Sie …«
Jonas ergriff meine Hand und beugte sich mit altmodischer Höflichkeit darüber. »Wenn Sie etwas dergleichen sehen, irgendetwas in der Art… Bitte geben Sie mir Bescheid, ja?«
»Ich… Ja, natürlich.«
Er musterte mich, und seine blauen Augen blickten auf einmal sehr aufmerksam. Der Ausdruck seines sonst so jovialen Gesichts veränderte sich plötzlich, wurde fast unheimlich. »Sofort, Cassie.
Geben Sie mir sofort Bescheid, wenn Sie so etwas sehen.«
Ich nickte besorgt, und plötzlich war Jonas wieder ein freundlich lächelnder Mann. »Viel Spaß bei Ihrem Date«, sagte er und ging.
Marco schloss die Tür, und wir standen da und sahen uns an.
»Magier«, sagte er voller Abscheu. »Werden immer seltsamer.«
Dem konnte ich nicht widersprechen.
Acht
»Bist du sicher, dass du bereit bist?«, fragte Mircea.
Es war sieben Stunden später und einige Jahrzehnte früher, und ich war mir bei nichts sicher. Meine Hände schwitzten, der Bauch tat mir weh, und ich begann, die Wahl meiner Kleidung für den Abend in Zweifel zu ziehen. Ich hatte sie schon einmal in Zweifel gezogen und mich für die rote Seide entschieden, die im Laden schick und
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