Verlockend wie ein Dämon
über die Jahre nachgelassen. Die Beziehungen des Waffenhändlers in Kairo waren immens und seine Mittel weitreichend, deshalb konnte Lena Tariqs Entscheidung zur Rückkehr nach wie vor nicht nachvollziehen. Reyhan Nasser würde ihn ohne jeden Skrupel töten.
Tariq rasch zu finden war also von äußerster Wichtigkeit.
Wäre dies noch das Kairo gewesen, in dem sie aufgewachsen war – kein Problem. Aber heutzutage stellte es sie vor Herausforderungen. Und leider wusste Tariq um die Grenzen des Amuletts. Wenn er immer in Bewegung blieb, war es nahezu unmöglich, die Münzen genau zu orten – ein Manko, das, wie sie vermutete, gleichermaßen auch für Brians Beschwörungszauber galt.
Sie hoffte also darauf, dass Tariq ein Fehler unterlief – nur kein so schlimmer, dass er ihn mit dem Leben bezahlen musste.
Es ging ganz schnell.
Brian stieg aus der Limousine, verständlicherweise ein wenig benommen davon, dass Lena ihren weichen Körper die ganze Fahrt über an ihn geschmiegt hatte. Carlos verließ den Wagen auf der anderen Seite. Als Brian sich umdrehte, um Lena aus der Limousine zu helfen, war sie nicht mehr da.
Ihr Sitz war leer.
Er starrte darauf, und sein Herz setzte einen Schlag lang aus.
Wie konnte das sein?
Er beugte sich hinein und legte seine Hand auf das noch warme Leder. Seine Haut kribbelte, und irgendwo in seinem Hinterkopf identifizierte er diese Wahrnehmung als Restenergie eines Zaubers. Aber zu akzeptieren, was das bedeutete, dauerte länger. Die Wirklichkeit traf ihn wie ein Magenschwinger.
»So eine Scheiße. Sie haben sie geschnappt.« Er fuhr herum und suchte rasch die Straße ab. Das Ostufer des Nils lag auf der einen, das Hotel auf der anderen Seite. Keine Spur von Lenas vertrauter Gestalt. »Aber wie denn nur?«
»Nur eine Ausgeburt der Hölle kann meines Wissens jemanden durch die Barriere bringen«, sagte Carlos ruhig. »Ein Lockdämon.«
Wie Drusus, der Dämon, der den Jungen gegrillt hatte.
Jesus.
Brian registrierte den angespannten Ausdruck auf dem Gesicht des jüngeren Wächters, weigerte sich aber, darüber nachzudenken, welche schrecklichen Dinge der Dämon genau in diesem Augenblicke tun konnte. »Sie wird sich wehren. Er wird nicht weit kommen.« Er drückte dem verblüfften Limousinenfahrer eine Handvoll Scheine in die Hand. »Keine Sorge, wir sind Schauspieler. Das ist nur eine Improvisationsübung, die wir hin und wieder machen. Tragen Sie unser Gepäck hinein.«
»Wir teilen uns auf«, sagte er dann zu Carlos. »Du gehst nach links. Ich nach rechts. Such jede Straße, jede Gasse, jeden Winkel ab. Nutze deine Sinne. Finde sie.«
Der jüngere Wächter nickte, ohne Brian in die Augen schauen zu können.
»Sie werden sie nicht umbringen«, sagte Brian. Er musste daran glauben – sein Geist wollte sich mit der Alternative nicht abfinden. »Sie wollen die Münzen.«
»Okay.«
Der gespielte Gleichmut von Carlos’ Antwort ließ Brian stutzen. Wieder einem Lockdämon gegenüberzutreten, war sicher keine angenehme Vorstellung für den Jungen. »Hör zu, wenn du dich aus der Sache raushalten willst, verstehe ich das.«
Carlos reckte das Kinn, sein Blick war dunkel und ruhig. »Ausgeschlossen. Ich bin dabei.«
»Dann mal los.«
Brian lief die baumbestandene Straße an der Nordseite des Hotels entlang und streckte seine Fühler in jede dunkle Ecke aus. Seine Kehle war trocken, er hatte die Hände zu Fäusten geballt. Jeder Muskel seines Körpers war aufs Äußerste angespannt. Aus Angst um Lena konnte er keinen klaren Gedanken fassen, aber das gleichgültige Summen des Schwertes an seinem Rücken hielt ihn davon ab, durchzudrehen. Es gab viele Fragen: wer sie entführt hatte, wie es ihr ging und ob sie überhaupt noch am Leben war. Aber einer Sache war er sich ganz sicher: Wenn diese Scheißkerle ihr auch nur ein Haar krümmten, würde er ihnen den Kopf abschlagen.
Zweimal.
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12
N ur Sekunden nachdem der Lockdämon Lena geschnappt hatte, gab er sie frei und verschwand. Als der eisige Hauch des Übertritts ihren Körper schließlich aus seinen Klauen entließ, öffnete sie die Augen.
Sie befand sich in einer schmalen Gasse, konnte fast die Wände links und rechts mit ihren ausgestreckten Armen berühren. Holzkisten, Fahrräder und Tonkrüge standen überall herum, und über ihrem Kopf hing trocknende Wäsche an behelfsmäßigen Wäscheleinen. Aber die einzige Person, die sich blicken ließ, war ein schlanker Mann in einer hellblauen, knöchellangen
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