Verlockend wie ein Dämon
Tunika – einer Galabia – und einem weißen Turban.
»Salaam, Lena.«
Das wieder einsetzende Pochen des Amuletts an ihrem Hals war gar nicht nötig, um ihr zu sagen, dass sie einem Dämon gegenüberstand. Sie sah es an seinen Augen. Malumos’ böses Glühen wurde ihr langsam vertraut.
»Ich habe die Münzen nicht«, sagte sie.
»Sie wissen aber, wo sie sind.«
Lena erwiderte seinen starren Blick. Das Lügen fiel ihr immer leichter. »Offen gestanden: Ich weiß es nicht. Ich dachte mir schon, dass Sie nicht Wort halten würden, und habe Vorkehrungen getroffen, dass die Münzen erst am vereinbarten Datum übergeben werden. Nicht eher.«
Die dunklen Augenbrauen des Mannes flogen nach oben. »Sie
müssen
wissen, wo sie sind.«
»Ich weiß es aber nicht.«
»Beleidigen Sie mich nicht mit Lügen.« Er wies mit dem Kinn auf ihre Handtasche. »Sie haben das Foto gesehen, das wir Ihnen geschickt haben. Sie kennen die heikle Lage, in der sich Ihr kleiner Schatz Heather befindet. Warum teilen Sie mir nicht einfach mit, wo sich die Münzen befinden, und ersparen dem Mädchen damit einigen Kummer?«
Bei Heathers Erwähnung wurde Lena seltsam ruhig. Zehn Jahre, in denen sie die Mädchen hatte aufwachsen sehen, in denen sie ihnen das Essen gemacht hatte, wenn ihr Vater erst spät von der Arbeit kam, in denen sie versucht hatte, die riesige Lücke zu füllen, die der Tod ihrer Mutter gerissen hatte, machten mehr aus, als sie je hätte ahnen können. Sie würde alles tun, um zu verhindern, dass Heather weiteres Leid zugefügt wurde. Aber indem sie Tariq aufgab, rettete sie Heather nicht – die Dämonen würden Heather nur weiterhin dazu missbrauchen, Lena zu nötigen. Die einzige Möglichkeit, Heather zu retten, bestand darin, die Münzen wie geplant auszuliefern. Auch wenn sie sie natürlich Brian versprochen hatte. »Nein. Wir haben eine Vereinbarung, und ich beabsichtige, mich auf Gedeih und Verderb daran zu halten.«
»Dann auf Verderb.«
»Na los. Tun Sie, was Sie tun müssen. Meine Schilde werden Sie nicht lange abhalten, aber ich werde mich bis zum Letzten wehren. Sie können mich foltern, bis ich den Verstand verliere, aber es wird keine Rolle spielen. Ich kann Ihnen sowieso nicht sagen, wo die Münzen sind.«
Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Der Schmerz wird unerträglich sein.«
»Furchtbar, ja. Aber nicht unerträglich.«
»Sind Sie sicher? Es gibt mehr Methoden, Sie zu foltern, als Ihr Fleisch zu verbrennen, Lena.«
Er wedelte mit der Hand, und die bröckelnden Lehmmauern begannen zu verschwimmen, bis sie sich in Luft aufgelöst hatten. Aus Tageslicht wurde Dämmerung, die Schatten vertieften sich, und der Geruch des Smogs schwand. Er wurde ersetzt vom erdigeren und stechenderen Gestank aus jenen Tagen, in denen es noch Plumpsklos gab.
Im Halbdunkel hinter Malumos erschienen zwei Männer in Galabias. Lenas Herz fing an zu rasen. Es waren Männer, die sie kannte, Männer, deren grausame Gesichter sie noch jetzt in ihren Albträumen heimsuchten. Kaab und Nazr. Malumos’ Gestalt verwandelte sich – die blaue Tunika wurde schwarz, und der harmlose weiße Turban wich langem schwarzem Haar, das ihm bis auf den Rücken fiel. Seine Kieferknochen traten schärfer hervor, und eine schartige Narbe tauchte unter seinem linken Auge auf.
Dhul-Fiqaar.
Sie leckte sich über ihre plötzlich trockenen Lippen, und obwohl sie standhaft sein wollte, senkte sie den Blick zu Boden, auf den Körper, den sie, wie sie wusste, dort ausgestreckt vorfinden würde. Einen Mann mit nussbrauner Haut und magerem, sehnigem Körperbau, einen Dolch im Bauch.
Sie versuchte, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken und schloss die Augen.
Nein.
Es war nur eine Illusion.
Dies war vor über hundert Jahren geschehen, und die Männer, die sich ihr näherten, waren längst tot und zu Staub zerfallen. Und doch hatte sie einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Wie dumm sie an jenem Tag gewesen war! So berauscht von sich selbst, nachdem sie einen Satz Kalksteinkanopen aus Luxor gestohlen hatte, dass sie Azims Warnungen in den Wind schlug. Wie oft hatte er ihr zuvor gesagt, dass es nicht klug war, mit ihren Erfolgen vor Dhul-Fiqaar zu protzen? Zu häufig, als dass man es noch hätte zählen können.
Eine rauhe Hand fasste ihr ans Kinn, und sie riss die Augen wieder auf.
Dhul-Fiqaar starrte sie an, Hass in den obsidianschwarzen Augen. »Er ist gestorben, weil er versucht hat, dich zu retten, Lena. Empfindest du gar nichts
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